Die Heimkehr des Sämanns: Ägyptisches Amulett

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Was haben Tollwut und Feuerlöscher mit dem Film Tenet (2020) zu tun? Wieso ist diese Frage papyrologisch relevant?

Im Film über die geheime Mission Tenet handelt ein Russe namens Sator – Gründer der Firma Rotas – mit Waffen, ein Herr Arepo ist als Kunstfälscher bekannt und die erste Szene findet in einem Opern-Haus statt. Tollwutkranke wurden bis ins 18. Jahrhundert in Deutschland gelegentlich mit Brot „behandelt“, in das man die Worte sator arepo tenet opera rotas gedrückt hatte. Brände versuchte man zu löschen, indem man Teller mit denselben Worten, sator arepo tenet opera rotas, beschriftete und sie in die Flammen warf.

Beinahe auf dem gesamten Gebiet des Römischen Reiches – von Pompeji bis ins Zweistromland – findet man diese fünf Wörter in Ziegel geritzt und an Hauswände gemalt. Die sogenannte Sator-Formel muss, anachronistisch gesprochen, ein virales Meme gewesen sein.

Schreibt man die fünf Wörter untereinander auf, ergibt sich ein Quadrat, das man von links oben nach rechts, rechts unten nach links, links oben nach unten, rechts unten nach oben lesen kann. Es ergibt sich immer derselbe Text. Das war faszinierend. Das war Grund genug, es als Graffiti an Tempelwänden zu hinterlassen:

S A T O R
A R E P O
T E N E T
O P E R A
R O T A S

Nicht nur im öffentlichen Raum, auch im Privaten wurden solche Quadrate fleißig aufgeschrieben. Die Berliner Papyrussammlung allein besitzt mehrere Stücke aus der spätantike und dem frühen Mittelalter, in denen dieses Quadrat die Hauptrolle spielt.

So auch unser Stück des Monats, eine Tonscherbe aus Ägypten, auf der neben dem Quadrat (in griechischer Schrift und mit ein paar Verschreibungen, wie üblich) links ein kleines Kreuz gemalt ist. Sonst nichts. Keine Angabe zur Bedeutung, Verwendung oder Herkunft.

Die Verwendung des Sator-Quadrates durch Christen, wie unsere Tonscherbe eine zu sein scheint, hat Forscher schon immer dazu bewogen, religiöse Deutungen der 5 × 5 Buchstaben anzustellen. Wenn man sie nämlich anders anordnet, beispielsweise als oro te pater oro te pater sanas, ergibt sich ein lateinisches Gebet an den christlichen Gott: ‘ich bitte dich, Vater, ich bitte dich, Vater, mögest du heilen’. Aber auch eine Bitte an die entgegengesetzte religiöse Instanz schlummert in den Buchstaben: satan ter oro te reparato opes ‘Satan, dreifach bitte ich dich, bring mir meinen Schatz zurück!’.

Wenn man die Buchstaben einer bestimmten griechischen Schreibweise der Sator-Formel zusammenaddiert (die Griechen haben ihre Buchstaben auch als Zahlen verwendet), dann kommt dieselbe Zahl raus, wie wenn man die – ziemlich falsch geschriebenen – Worte Ἠσοῦς Χρειστὸς Μαρίας γέννημα Θεοῦ ὑὸς σωτήρ, also ungefähr ‘Esus Chreistus [!], Maries Frucht, Gottes Son [!], Heiland’ auf diese Weise zusammenrechnet. Ein Zufall kann das, so der Entdecker dieser Interpretation, natürlich nicht sein …

Auch hat man entdeckt, dass man aus den 25 Buchstaben ein solches Kreuz bilden kann, das zugleich an das Vaterunser (pater noster) und die Wendung „A-und-O“ (Offb. 1,8) erinnert.

          P
          A
    A     T     O
          E
          R
P A T E R N O S T E R
          O
          S
    A     T     O
          E
          R

Für viele – vor allem christliche – Forscher war die Frage nach dem Ursprung spätestens damit eindeutig geklärt. Probleme ergaben sich erst, als Sator-Graffiti in Pompeji entdeckt wurden. So früh, also vor dem Ausbruch des Vesuv 79 n. Chr., konnte die lateinische Fassung des neuen Testaments, aus dem Vaterunser und A-und-O stammen, noch gar nicht feststehen. Und dass es nur ca. 40 Jahre nach Jesu Kreuzigung in einer Provinzstadt wie Pompeji überhaupt Christen gegeben hat, ist auch alles andere als sicher.

Die meisten christlichen Deutungen gehen außerdem an den fünf Wörtern und ihrer Bedeutung selbstbewusst vorbei und stürzen sich direkt auf die einzelnen Buchstaben, können es nicht erwarten, sie in die „richtige“ Reihenfolge zu rücken. Dabei sind doch 4 der 5 Wörter klar verständliches Latein: sator (der Sämann) arepo (?) tenet (hält) opera (die Werke) rotas (die Räder). Allein arepo macht Schwierigkeiten. Ist es ein bisher unbekanntes lateinisches Landwirtschafts-Wort? Ist es ein Name, vielleicht der des Sämanns? Oder ist es nur die Spiegelung von opera, die genau an der Stelle stehen muss, damit die Symmetrie aufgeht?

Wenn man sich nicht damit zufrieden geben möchte, dass das Quadrat nichts weiter ist als Buchstaben-Spielerei, hilft ein Blick auf die spätantike heidnische Religion weiter: Schon durch die Eroberungen Alexanders des Großen hatten sich die Religionen der Eroberer und eroberten Asiaten teilweise vermischt. Kleinasiatische Göttinnen wurden nach Griechenland importiert, assyrische Gottheiten und ihre Tempel griechisch gedeutet. Durch die große Fluktuation römischer Legionäre kamen auch später ägyptische Gottheiten wie Isis nach Italien.

Arepo könnte ein ähnlicher Fall sein: Dazu müsste bloß der Name der ägyptischen Horuskind-Gottheit Harpokrates zu Harpo abgekürzt und in der späten lateinischen Aussprache als Arepo geschrieben werden. Da man Harpokrates als Fruchtbarkeitsgott verehrt hat, ergibt auch die Bezeichnung sator ‘Sämann’ Sinn.

Die Gesamtbedeutung wäre damit: ‘Der Sämann Harpokrates hält die Arbeiten und Räder am Laufen’ bzw. ‘der Sämann Harpokrates hält die Werke bzw. Mühen und (Folter-)Räder auf’. Beides Sätze, die sich als Wunsch und Zauberspruch eignen. Beides Sätze, die auf Amulett-Scherben geschrieben und zu Schutz oder Heilung verwendet werden wollen.

Der ägyptische Gott Harpokrates hat in Form dieses Quadrats einen großen Teil der antiken Welt bereist und an vielen Orten seine Spuren hinterlassen. Mit unserem Stück des Monats, dem ägyptischen Sator-Quadrat, ist der Sämann gewissermaßen nach Hause zurückgekehrt. Zwar ist auf dem Weg sein Name verloren gegangen, aber seine Zauberkraft ist mindestens bis ins 18. Jahrhundert erhalten geblieben.

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