Epigramm zur Herkunft Homers

O.Wilck. 1148 = BKT V.1, S. 78f. (P. 4757)

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Schon in früher Zeit wollte Schreiben gelernt sein. Doch damals griff man nicht zu Stift und Papier, sondern unter anderem auch zu Tonscherbe (nun Ostrakon genannt) und Kalamos, wie in diesem Beispiel eines Ostrakon von einem roten Gefäß, das mit einem Gedicht über die Herkunft Homers beschrieben wurde.

Homer ist wohl der berühmteste Dichter der Antike. Die ihm zugeschriebenen beiden Werke Ilias und Odyssee gehören zu den bekanntesten Werken der Weltliteratur. Seine Schaffenszeit wird in die 2. Hälfte des 8. Jh. v. Chr. bzw. in die 1. Hälfte des 7. Jh. v. Chr. gesetzt, doch sind Details über sein Leben, seine Herkunft oder seine Geburts- und Sterbedaten nicht bekannt. Homer selbst schweigt in seinen Werken über sich. So diskutierte man schon in der Antike heftig über die Person und Herkunft des Dichters. Viele Städte beanspruchten, als sein Geburtsort zu gelten. In vielen Texten wird die Herkunft Homers behandelt, doch gestand man sich schon in der Antike resignierend ein, dass die Wahrheit über die Herkunft des großen Dichters wohl nicht herauszufinden sei.

Auch der Text auf unserem Ostrakon beschäftigt sich mit der Herkunft Homers. Aufgrund der Schrift kann angenommen werden, dass die Scherbe im 2. Jh. v. Chr. beschrieben wurde. Auf der rechten Seite fehlen ein paar Buchstaben, weil die Tonscherbe abgebrochen ist. Der Inhalt dieses kurzen Gedichts (Epigramms) ist aber trotzdem gut verständlich.

Der Text beginnt mit einer Warnung. Dort steht nämlich: „Frage nicht, woher ich, Homeros, entstammt sei.“ Homers Geburtsort soll also gar nicht preisgegeben werden. Stattdessen wird durch diese Einleitung sehr geschickt vorbereitet, was der Dichter, der als Sprecher in diesem Gedicht auftritt, über seine wahre Heimat zu sagen hat. Zunächst werden aber die Städte der Lüge bezichtigt, die beanspruchen, Geburtsort Homers zu sein. Ihnen wird außerdem vorgeworfen, dass sie diese Behauptung nur aufgestellt hätten, um am Ruhm des Dichters teilhaben zu können. Am Ende klärt Homer allerdings auf, dass die wahre Heimat eines Dichters sein Werk sei. Die Person des Dichters tritt hinter der Ilias und der Odyssee zurück, mit denen er sich ein Denkmal für die Ewigkeit geschaffen habe. Damit wird die Frage nach dem wahren Geburtsort des Dichters unwichtig.

Neben dem Inhalt ist an diesem Text auch interessant, dass er eine kurze Überschrift hat. Sie wurde später hinzugefügt und drängt sich in den frei gebliebenen Raum oberhalb der ersten Zeile. Sie sagt zwar nichts über den Inhalt des Gedichts aus, verweist aber wahrscheinlich auf ein weiteres Epigramm, in dem das gleiche Thema auf eine andere Art und Weise behandelt wurde und mit dem der hier erhaltenen Text verbunden ist. Womöglich können wir davon ausgehen, dass es am gleichen Ort noch ein anderes Ostrakon mit einem weiteren Epigramm über die Herkunft Homers gegeben hat.

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