Ist er der Richtige?

SB XVIII 13250 = BKT IX 173 (P. 21269 R)

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Zwei junge Menschen, die Zukunft noch vor sich – doch was wird sie bringen? Lohnt es sich, den Weg dauerhaft gemeinsam zu gehen? Weil man sich ja nicht so sicher sein kann, was alles noch kommt, werden hier und da auch heutzutage noch kleine Entscheidungshelfer, wie z. B. Sternzeichen verwendet, um sich ein Urteil über die Überlebenschance einer Beziehung zu bilden.

Doch nicht erst im 21. Jahrhundert möchte man angesichts dieser spannenden Frage nichts dem Zufall überlassen. Auch, wenn sicherlich im aktuellen Stück des Monats nicht in erster Linie ein launisches Liebesglück als Maßstab einer erfolgreichen Ehe gegolten haben wird (wir sind schließlich im 6./7. Jh. n. Chr. in Ägypten) – ist es wirklich erstaunlich, dass man sich im Letzten bei dieser Frage schon damals höheren Mächten zuwandte? Doch lassen wir unser Stück am besten selbst sprechen:

„Gott der Christen: ob es dein Wille ist, dass wir Theodora, deine Dienerin, dem Joseph geben? – Ja.“

Wir befinden uns im christlichen Ägypten, wahrscheinlich als Teil des oströmischen Reiches. Ist es 619 n. Chr. bereits von den Sassaniden unter Chosrau II. erobert worden, 630 n. Chr. an Ostrom zurückgefallen oder 642 n. Chr. endgültig von den Arabern erobert? Für die religiöse Situation wird das keine erhebliche Rolle gespielt haben, da weder das religiös diverse Sassanidenreich, noch die muslimischen Araber anfangs missionarische Bestrebungen hatten.

In jedem Fall wird durch die Anrede deutlich: im geistigen Milieu dieser Orakel-Befragung ist der christliche Gott nur einer unter vielen. Das ist umso erstaunlicher, als doch unter Justinian 535 oder 537 n. Chr. der letzte geduldete pagane Tempel Ägyptens, das Isis-Heiligtum von Philae, geschlossen worden war und die christlichen Kirchen dieser Zeit, allen voran die oströmische Staatskirche, einen exklusiven Monotheismus vertraten. So ist es nicht verwunderlich, dass auch der christliche Geschichtsschreiber Eusebius (3./4. Jh. n. Chr.) in seinem Buch “Theophanie“ kein gutes Haar an heidnischen Orakeln lässt. Er erwähnt in diesem Zusammenhang sogar explizit das Thema Heirat. Es handelt sich also um eine Praktik, die durchaus von wohl keiner größeren christlichen Kirche der Zeit gefördert wurde. Viel eher ist sie wohl ein Überbleibsel der vielfältigen Vorhersagepraktiken aus heidnischer Zeit.

Was genau aber den Vormund oder Vater der hier erwähnten Theodora also veranlasst hat, zu einer aus christlicher Sicht fragwürdigen Praktik Zuflucht zu nehmen, darüber lässt sich nur spekulieren – in jedem Fall war ihm die Wahl des Ehegatten für Theodora wohl sehr wichtig.

Weit aussichtsreicher scheint die Frage nach dem genauen Prozedere bei der Befragung des „christlichen Gottes“. Interessant auf unserem Stück ist, dass wir auf dem Papyrus der Frage zugleich die Antwort mitgeliefert bekommen. Im Vergleich zu ähnlichen Stücken aus der gleichen Zeit ist das besonders.

Paläografische Beobachtungen konnten den Schreiber der Frage und der Antwort als ein und denselben identifizieren. Daraus ergibt sich, dass entweder selbst das Los geworfen und sofort im Anschluss das Ergebnis vermerkt wurde, oder dass es womöglich zwei verschiedene Frage-Papyri mit entgegengesetzten, bereits vorformulierten Antworten gegeben haben könnte, die dann jeweils als Los fungierten, oder getrennt an einer Befragungs-Stelle eingereicht wurden. Ein solches Verfahren legt sich in einem anderen Beispiel nahe, wo man die positive und negative Variante fand (P.Harr. I 54 und P.Oxy. XVI 1926). Allerdings wurde hier nur die Frage jeweils positiv und negativ formuliert und es findet sich keine Antwort wie in unserem Fall. Spekuliert wurde ebenfalls, ob der Fragesteller vielleicht nur dieses Papyrusblatt an eine bestimmte Institution einreichte und sie nur im zutreffenden Fall wieder zurückbekam.

Aber warum sollte unbedingt jemand anders eine solche Entscheidung fällen? Aus einem Reisebericht des Pausanias geht hervor, dass es bereits im 2. Jh. n. Chr. „Selbstbedienungsorakel“ gab, bei denen der Frager nur zu würfeln brauchte. Auch in den Sortes Astramspychi, dem am besten erhaltenen Los- oder Punktierbuch der Antike, kommt der Frager durch innere Eingebung einer Zahl über Umwege letztlich selbst zur Antwort auf seine Frage an das Schicksal.

Doch wie auch immer nun die Antwort auf die Frage ermittelt wurde – dieser Papyrus, der beim ersten Lesen auf etwas kitschige Weise den Beginn einer vom Schicksal gewollten Ehe suggerierte, deutet bei näherer Betrachtung auch darauf hin, dass der Vater oder Vormund offenbar nicht von Anfang an von Joseph überzeugt war. Leider können wir mangels weiterer Beweise nur spekulieren, was das Orakel tatsächlich verriet und vor allem, wie der Verantwortliche letztlich entschied.

Positiv lässt sich also leider nur festhalten, dass Joseph dem Frager zumindest als eine ernsthafte Option für Theodora gegolten zu haben schien.

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