SB XIV 11876 (P. 7216)
Dieser einseitig beschriebene Papyrus enthält die Entscheidung des römischen Kaisers Caracalla in einer strittigen Steuerangelegenheit aus der Zeit kurz nach 215 n.Chr., die ihm von seinem Rechtsberater Egnatius Lollianus während seiner Ägyptenreise dargelegt wurde.
Der Papyrus stammt aus der Privatsammlung des Ägyptologen Heinrich Brugsch und kam 1891 in die Berliner Papyrussammlung. Sein Fundort in Ägypten ist unklar, doch ist die große Niloase Faijum in Mittelägypten sehr wahrscheinlich. Aufgrund des Textinhalts kann man sogar vermuten, dass er in dem Ort Karanis im Nordosten des Faijum verfasst wurde. Einen wichtigen Hinweis dafür liefert nämlich eine nur in Details abweichende Kopie desselben Entscheids, die in Karanis gefunden wurde und heute in Ann Arbor (USA) aufbewahrt wird. Diese zweite Kopie ist insgesamt schlechter erhalten als der Berliner Papyrus. Trotzdem hilft sie, den verlorenen Text am linken Rand des Papyrus mit einiger Sicherheit zu ergänzen.
Der erhaltene Text besitzt eine Überschrift, eine knappe Darlegung des Lollianus und schließlich die Entscheidung des Kaisers. Lollianus‘ Argumentation besteht aus zwei Teilen. Zunächst fasst er offenbar die Klagen von Bauern des nicht genauer bezeichneten Gaues zusammen: Der Pächter verschiedener Steuern dieses Gaues hat eine bestimmte Abgabe mit dem Namen Monodesmia, die aus mehreren Einzelabgaben bestand und bei der Bewirtschaftung von Staatsland anfiel, auch auf Landflächen erhoben, die von der Nilflut nicht erreicht wurden und deshalb ertraglos geblieben waren bzw. nur deutlich geringere Erträge erzielen konnten. Bei dem Gau kann es sich nur um den Arsinoites, d.i. der antike Name der Verwaltungseinheit in dem Gebiet des Faijum, handeln, da diese Monodesmia genannte Abgabe nach unserem Kenntnisstand nur in diesem Gau erhoben wurde. Die Verpachtung von Steuern war in dieser Zeit üblich, auch wenn dies für die Monodesmia nur in diesem einen Text belegt ist. Aus den erhaltenen Steuerquittungen für diese Abgabe wissen wir, dass sie normalerweise von den Ältesten eines Dorfes von den Bauern eingezogen wurde und dann an eine zentrale Kasse im Gau gezahlt wurde, die wiederum von einem sogenannten Nomarchen verwaltet wurde. Dieser war auf Gauebene für die Eintreibung dieser Abgabe zuständig. Deshalb liegt es nahe, dass sich die Klagen der Bauern, die Lollianus in diesem Text darlegt, gegen den Nomarchen richteten, auch wenn es ungewöhnlich ist, dass er hier als Steuerpächter bezeichnet wird. Zufällig kennen wir aus anderen Texten sogar den Namen des Nomarchen in dieser Zeit, der in diesem Text nicht namentlich genannt wird. Es ist ein gewisser Apion, gegen den auch von anderer Seite Klagen eingereicht worden waren.
Im zweiten Teil seiner Ausführungen macht Lollianus einen Vorschlag, wie das Problem gelöst werden könnte. Dieser Lösungsvorschlag ist so grundlegend, dass er auch als Kritik an der damaligen Praxis der Steuererhebung verstanden werden kann. Er kritisiert nämlich, dass die Aufgaben und Kompetenzen eines Nomarchen zu umfangreich seien, was für eine Person zu viel sei. Stattdessen schlägt er vor, die Verpachtung der Steuererhebung durch den Rat von Ptolemais Euergetes, der Gauhauptstadt, vornehmen zu lassen und diese dann auf mehrere Pächter zu verteilen, wie indirekt aus seiner Kritik hervorgeht.
Der Kaiser Caracalla folgt seinem Rechtsberater Lollianus und entscheidet, dass diese Monodesmia genannte Abgabe nur noch von den Landbesitzern erhoben werden soll, deren Ländereien von der Nilflut erfasst und somit ertragreich seien. Zudem soll der Rat von Ptolemais Euergetes für die Erhebung aller Steuern verantwortlich sein, wodurch die Besitzer von ertragsärmeren bzw. nicht überfluteten Ländereien entlastet werden könnten.
Dieser Text gibt uns einen interessanten Einblick in die Probleme, die bei der Steuererhebung auftreten konnten. Aus späteren Texten wissen wir, dass die Vorschläge des Lollianus offenbar umgesetzt wurden, weil die Aufgaben eines Nomarchen in der Folge auf viele Schultern verteilt wurden.