BGU XIII 2253 (P. 21448)
Wir kennen doch alle diesen süßen Esel aus dem Streichelzoo, mit den flauschigen Ohren und dem freundlichen „I-aah“. Aber wenige wissen, dass seine Ahnenreihe bis hin zu den Wildeseln im Alten Ägypten reicht. Im Gegensatz zu heute wurden die Esel im Alten Ägypten aber nicht gestreichelt. Stattdessen wurden die domestizierten Esel als Lasttier genutzt und die Wildesel wurden gejagt.
Um eine solche Wildeseljagd geht es in dem vorliegenden Stück. In dieser Quittung bescheinigt der staatliche Jäger Dionysios den Ältesten von Soknopaiu Nesos, dass er von ihren Arbeitskräften bei der Jagd auf Wildesel unterstützt wurde. Ein Vermerk weist auf den Empfang der Quittung, durch Lukios, Sohn des Anubion, hin.
Das erwähnte Soknopaiu Nesos ist heute unter dem Namen Dimê bekannt. Es ist keine bewohnte Stadt mehr, sondern eine archäologische Stätte. Sie Befindet sich im Faijûm in Ägypten, etwa 3 Kilometer nördlich des Qārūn-Sees und 35 Kilometer westlich von Kōm Auschīm.
Die Quittung besteht aus 15 Zeilen griechischer Schrift, die auf dem Rekto (also parallel zu den Fasern) des Papyrus stehen. Durch eine Datumsangabe in der zehnten Zeile, kann der Papyrus auf den 26. Januar, den 5. oder 15. Februar 191 n.Chr. datiert werden. Der Herkunftsort des Stückes ist bereits als Soknopaiu Nesos bekannt. Die Quittung enthält also schon einige Informationen, jedoch kaum welche über die Wildeseljagd.
Esel hatten im Alten Ägypten ein schweres Leben. Der Esel war ein verhasstes Tier, was vor allem daran lag, dass er mit dem Gott Seth in Verbindung gebracht und meist als dessen tierische Gestalt angesehen wurde. Seth galt als Gott des Chaos und Verderbens. Je mehr also Seth im Glauben gefürchtet wurde, desto mehr wurden die Esel, als Verkörperung des Seth, gehasst und verachtet. Dennoch brauchte man Esel zum Transport von Waren, für die Feldarbeit usw., dafür wurden domestizierte Esel genutzt. Es ist nicht genau bekannt wann, wo und wie die ersten Esel domestiziert wurden, jedoch reichen Erwähnungen solcher bis ins 4. Jtsd. v. Chr. zurück. Wildesel sind daher von den domestizierten Hauseseln stark zu unterscheiden. Über eine Nutzung von Wildeseln ist, außer ihrer Jagd, nichts bekannt. Über die Wildeseljagd an sich gibt es zwar Informationen, diese halten sich aber in Grenzen. Die meisten Einblicke, in den möglichen Hergang einer solchen Jagd, geben Darstellungen in Gräbern sowie prähistorische Wandmalereien.
Aus vielen dieser Darstellungen geht eine Verbindung, der Wildeseljagd mit dem Pharao hervor. Der Pharao hatte viele Aufgaben. Neben seiner politischen hatte er auch eine sehr wichtige kultische Rolle inne. Unteranderem gehörte die „Feindvernichtung“ und die „Wiederherstellung der Ordnung“ zu maßgeblichen kultischen Aufgaben des Pharaos. Als Feinde galten die terrestrischen ebenso wie die kosmischen Mächte. So ist es nicht verwunderlich, dass sich Darstellungen der Wildeseljagd, also die Vernichtung der tierischen Gestalt des Seth, im Zusammenhang mit der „Feindvernichtung“ finden lassen. Trotz des ausgeprägten Hasses auf den Esel wurde diesem in Jagdszenen keine Sonderstellung, durch eine nur auf ihn angelegte Jagd, zuteil. Der Esel, vor allem der Wildesel, wurde als Teil eines Ganzen, als Teil der Wüstentiere angesehen. Deshalb treten Gruppen von Wildeseln in Jagdszenen meist neben Herden von Antilopen, Gazellen und Straußen auf.
Auf genannten Darstellungen ist der Pharao oft auf einem Streitwagen stehend mit Pfeil und Bogen bewaffnet zu sehen, wie er auf die Wildesel schießt. Um die Probabilität einer solchen Jagdszene nachzuvollziehen, müssen einige Fakten in Betracht gezogen werden.
Zum einen, konnte besagter ägyptischer Streitwagen wahrscheinlich eine Geschwindigkeit von maximal 40 km/h erreichen. Der ägyptische Bogen musste für einen Direktschuss ca. 30 m bis 70 m vom Ziel entfernt sein.
Zum anderen handelte es sich – laut Belegen – bei den gejagten Wildeseln entweder um den afrikanischen Wildesel oder den Achdari einem syrischen Vertreter des Asiatischen Halbesels. Beide Arten waren sehr scheue und fluchtbereite Tiere. Durch den lauten und auffälligen Streitwagen wären die Esel aufgeschreckt und hätten dadurch sicherlich einen Vorsprung von 200 bis 400 m gehabt. Dazu kommt, dass Wildesel einen steinigen Untergrund bevorzugen, der für Pferde ungeeignet ist. So konnten sie auf einer Ebene über einen längeren Zeitraum eine Geschwindigkeit von 40 km/h bis 48 km/h erreichen. Halbesel konnten sogar bis zu 70 km/h erreichen. Die Schnelligkeit der Esel wird durch Berichte untermauert, in denen man sich über die schwierige Jagd beschwert, da die Esel weder von Rennpferden noch von Rennkamelen eingeholt werden könnten.
Der ägyptische Streitwagen konnte unmöglich nah genug an einen Esel heran, um dem Schützen eine gute Schussposition zu ermöglichen. Die Esel waren mit ihrem Vorsprung und der Geschwindigkeit klar im Vorteil. Daher sind die dargestellten Hetzjagten mit einem Streitwagen in freier Wildbahn eher unwahrscheinlich. Dadurch ergeben sich zwei Durchführungsmöglichkeiten der Jagd.
Zum einen eine Treibjagd, bei der das Wild auf den Pharao zugetrieben wird. Neuere Berichte legen auch eine Drückjagd nahe. Bei dieser drücken wenige vorangehende Treiber das Wild ruhig aus dessen Schlupfwinkeln. Daraufhin versuchen die Esel, ihr Versteck zu wechseln, und laufen dabei vor den wartenden Pharao, der im geeigneten Augenblick auf die Esel zufahren kann.
Zum anderen die Jagd in einem Gehege. Demnach würden die Darstellungen an den Wänden nur eine verkürzte Jagd zeigen. Es gibt einige Hinweise aus dem Neuen Reich und aus dem Beginn der Beischrift zur Wüstenjagd in Medinet Habu, die einen solchen Jagdvorgag nahelegen.
Aus der Quittung von Soknopaiu Nesos geht hervor, dass Arbeitskräfte für die Jagd benötigt wurden. Dieser Umstand weist auf eine Jagdweise hin, bei der eine größere Anzahl von Leuten eingesetzt wird. Weshalb der Schluss naheliegt, dass es sich bei der Jagd aus der Quittung um eine Drückjagd gehandelt hat.
Die prunkvolle und herrschaftliche Darstellung der Wildeseljagd unterstreicht also noch einmal deren rituelle Bedeutung. Die Jagd galt nicht als Vergnügen, sondern sollte das Heldentum des Pharaos ebenso wie dessen Macht über den Feind und seine Rolle als sportlicher und gesunder Herrscher verdeutlichen.
Der Wildesel hatte somit einen wichtigen Einfluss auf die ägyptische Kultur. Denn durch sein Opfer konnte der Pharao seine Stellung untermauern. Ebenso spielte auch der Hausesel über lange Zeit eine maßgebliche Rolle im Handel und in der Bewirtschaftung der Felder. Der Esel, mit dem man so viel Schlechtes in Verbindung brachte, trug also einen großen Teil zum Überleben, dem Wohlstand und dem Fortbestand der Ägypter bei.
In diesem bedeutsamen Kontext ist also die hier vorgestellte, eher unscheinbare Quittung für die Unterstützung bei der Jagd auf Wildesel zu verstehen.