Ehe, Mobilität und Migration am Beginn des Hellenismus

P.Eleph. 1 (P. 13500)

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Was bewegt ein Paar aus dem griechischen Kulturkreis dazu, relativ kurz nach der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen im Süden dieses Landes die Ehe miteinander einzugehen? Persönliche Motive gibt der vorliegende Ehevertrag nicht preis, dafür aber direkten Aufschluss über rechtliche Gepflogenheiten, Mobilität und Migration am Beginn des Hellenismus.

Der Papyrus P.Eleph. 1 beleuchtet die früheste Phase des hellenistischen Ägypten und gehört aufgrund des Inhalts zu den faszinierendsten Dokumenten, die die griechische Papyrologie zu bieten hat. Denn anhand dieses Zeugnisses lassen sich die Folgen, die ein epochemachendes Ereignis — Ägypten wird für Jahrhunderte Teil des griechischen Kulturkreises — auf sozialer und rechtlicher Ebene zeitigten, unmittelbar und ganz nah an den damaligen Menschen nachvollziehen.

„Im siebtem Jahr des Alexander, Sohn des Alexander, im 14. Jahr der Satrapie des Ptolemaios, im Monat Dios; Ehevertrag zwischen Herakleides und Demetria; Herakleides nimmt Demetria, die aus Kos stammt, zur rechtmäßigen Ehefrau, ein freier Mann eine freie Frau, von ihrem Vater Leptines, der aus Kos stammt, und ihrer Mutter Philotis; (Demetria) bringt Kleidung und Schmuck im Wert von 1000 Drachmen in die Ehe mit, und Herakleides hat Demetria mit allem zu versorgen, was einer freigeborenen Frau angemessen ist; und wir sollen zusammen leben, wo auch immer es Leptines und Herakleides, in gegenseitigem Einverständnis, am besten zu sein scheint; wenn Demetria ihrem Ehemann Herakleides Schande zufügen sollte, soll ihr das, was sie in die Ehe mitgebracht hatte, entzogen werden; Herakleides aber soll seine Beschuldigungen vor drei Männern, die sie beide anerkennen, beweisen; Herakleides soll es nicht erlaubt sein, eine andere Frau nach Hause mitzunehmen und damit Demetria zu beleidigen oder Kinder mit einer anderen Frau zu haben oder Demetria unter einem Vorwand Böses zu tun; wenn Herakleides etwas derartiges tun sollte und Demetria es vor drei Männern, die sie beide anerkennen, beweisen kann, soll Herakleides Demetria die Mitgift im Wert von 1000 Drachmen, die sie mitbrachte, zurückgeben und soll außerdem 1000 alexandrinische Silberdrachmen zahlen; Demetria und diejenigen, die sie bei der Forderung der Zahlung unterstützen, sollen das Recht besitzen, die Zahlung zu fordern, als würde ein Urteil vorliegen, sowohl aus Herakleides selbst, als auch aus seinem ganzen Vermögen zu Lande und zu Wasser; dieser Vertrag soll überall rechtskräftig sein, ob Herakleides ihn gegen Demetria verwenden sollte, oder Demetria und ihre Helfer ihn gegen Herakleides verwenden sollten, um eine Zahlung zu fordern, als wäre die Übereinkunft vor Ort getroffen worden; Herakleides und Demetria sollen das Recht haben, die Verträge gesondert unter eigener Obhut aufzubewahren und sie gegeneinander zu verwenden; Zeugen: Kleon aus Gela, Antikrates aus Temnos, Lysis aus Temnos, Dionysios aus Temnos, Aristomachos aus Kyrene, Aristodikos aus Kos.“

Es handelt sich um den ältesten sicher datierten griechischen Papyrus, der aufgrund seines Inhalts als „Ehevertrag von Elephantine“ in die Geschichte der Papyrologie eingegangen ist. Das Ausstellungsdatum am Beginn des Textes bezieht sich auf den Sohn Alexanders des Großen, Alexander IV., und auf das Jahr nach der Einrichtung der Satrapie des Ptolemaios. Letzterer, der als General Alexanders des Großen zum Gründungsvater der Dynastie der Ptolemäer wurde, ist hier also noch kein König, sondern — als Relikt persischer Reichsverwaltung — Satrap des noch vereinten Alexanderreiches mit Zuständigkeit für Ägypten. Die Jahresangaben verweisen auf das Jahr 310 v. Chr.: es lag nunmehr also etwas mehr 20 Jahre zurück, dass Alexander der Große Ägypten erobert und damit dem Perserreich entrissen hatte.

Der Text veranschaulicht, wie ein griechisches Einwandererpaar in Elephantine an der südliche Grenze Ägyptens die Ehe miteinander einging und diesen Vorgang in einem nach griechischen Rechtsvorstellungen gestalteten Vertrag festhielt. Die Form der Urkunde sowie die Verwendung bestimmter Vertragsklauseln verdeutlichen, dass die Urkunde darauf ausgerichtet war, auch bei weiteren Ortswechseln nichts an ihrer Gültigkeit bzw. Rechtskraft zu verlieren. Da es sich um eine Doppelurkunde handelt, in der der Vertragstext in zweifacher Ausfertigung niedergelegt ist, war keine Archivierung an einem festen Ort nötig. Sinnvollerweise besitzt auch jeder der Eheleute jeweils eine Ausfertigung der Doppelurkunde und zudem das Recht, im Fall einer Eheauflösung ein Kollegium von drei Männern einzuberufen, um eine Scheidung mit entsprechender Abfindung zu erwirken. Besagtes Drei-Männer-Kollegium kann als Schiedsgericht überall einberufen werden, ist daher, wie schon die Doppelurkunde selbst, perfekt an ein Leben mit hoher Mobilität angepasst bzw. berücksichtigt zumindest die Eventualität eines Ortswechsels.

Die Höhe der Mitgift spricht dafür, dass die Lebenswelt, der der Ehevertrag entstammt, die eines wohlhabenden Personenkreises ist: der genannte Geldbetrag entspricht zu dieser Zeit dem durchschnittlichen Einkommen mehrerer Jahre. Warum es die Eheleute nach Elephantine verschlagen hatte, ob sie dort schon länger ansässig waren und ihr ganzes restliches Leben dort verbrachten, bleibt verborgen. Der Grund für ihre Einwanderung lag vielleicht in Handelsgeschäften, aber auch eine Verbindung zum Militär wäre vorstellbar, da Elephantine Standort einer griechischen Garnison war. Ungeachtet dessen steht der Ehevertrag von Elephantine exemplarisch für dynamische Migrationsprozesse, die auf die Eroberungszüge Alexanders des Großen zurückzuführen sind und Menschen aus allen möglichen Regionen des Mittelmeerraumes — nicht nur Griechen, sondern auch Makedonen und Juden — in großer Zahl nach Ägypten führte.

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