Ein rätselhaftes frühes Horoskop

BKT X 29 (P. 11831)

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Dieses kleine Stück Papyrus, das bequem in der Handfläche Platz findet, ist für die Geschichte der Astrologie von großer Bedeutung, da es in seiner frühen Form die älteste bekannte Horoskop-Textaufzeichnung in griechischer Sprache enthält. Zudem weist es einige Besonderheiten auf.

Der Text scheint vollständig zu sein, obwohl es praktisch keinen rechten Rand gibt. Der Papyrus wurde wiederverwendet. Unter der letzten Zeile des Textes sind deutlich Spuren einer älteren Zeile zu erkennen. Dieser Text ist in einer helleren Tinte geschrieben, aber in einem Stil, der ungefähr zeitgleich mit dem Horoskop ist. Die Handschrift ist eine andere und die Buchstaben sind regelmäßig, rund und gut voneinander getrennt, ähnlich wie bei literarischen Texten. Die Schrift scheint über den rechten Rand hinaus fortzufahren, was darauf hindeuten könnte, dass der Streifen von einem bereits für einen anderen Text verwendeten Blatt oder einer Rolle abgeschnitten wurde.

Der Text des Horoskops ist in gewisser Weise typisch für ein antikes Horoskop. Anders als bei modernen Horoskopen, die man aus den Medien kennt oder die man über Smartphone-Apps abrufen kann, stehen die astralen Daten im Mittelpunkt und es gibt keine begleitende Analyse. Eine solche Analyse wurde anscheinend separat geliefert: Bei den meisten antiken Horoskopen war sie wohl für eine persönliche Beratung zwischen einem professionellen Astrologen und einem Kunden vorgesehen.

Dieses Horoskop unterscheidet sich jedoch auch von anderen antiken „Original“-Horoskopien. Es trägt ungewöhnlicherweise keinen persönlichen Namen und keine weiteren Angaben, die darauf hindeuten würden, dass es die astralen Daten einer bestimmten Geburt darstellt, und es enthält auch kein Datum. Man fragt sich, um welches Horoskop es sich hier handelt. Für ein anderes Berliner Papyrus-Horoskop, das ebenfalls keinen persönlichen Namen und keine explizite Angabe enthält, dass es sich um ein Geburtshoroskop handelt, wurde die Hypothese aufgestellt, dass es sich um eine Skizze für monumentale Zwecke handele, die dazu diente, ein Grabmal mit einer Darstellung des Himmels zur Zeit der Geburt eines Verstorbenen zu schmücken. Auch hier ist ein Geburtshoroskop am wahrscheinlichsten, aber auch andere Lebensereignisse, die von Autoren der Astrologie wie Vettius Valens (2. Jahrhundert n. Chr.) beschrieben wurden, sind möglich.

Im Fall des hier besprochenen Horoskops wird vermutet, dass es sich um private Notizen des Astrologen oder des Klienten handelt. Die Abkürzungen einiger Planetennamen und Tierkreiszeichen – so werden beispielsweise die Namen der Zwillinge und der Venus mit den entsprechenden Abkürzungen Ge und Ve geschrieben – sprechen ebenfalls dafür, dass es sich um einen Kontext handelt, in dem relativ erfahrene Schreiber tätig waren, und dass die Leser die Abkürzungen aufgrund ihrer Vertrautheit mit dem Genre entschlüsseln konnten. Die Positionen werden, wie bei den meisten Originalhoroskopen, nur in ganzen Tierkreiszeichen angegeben, ohne die zusätzliche Angabe der Gradzahl, die manchmal zu finden ist. So stand zum Beispiel der Mond, mit dem die Liste endet, im Löwen. Außerdem wird das Tierkreiszeichen am Horizont, der „Aufgang“ oder griechisch horoskopos, der dem Genre den Namen gibt, und der Gegenpol „Mitternacht“ (mesouranēma) notiert, der dem höchsten Punkt entspricht, den die Sonne am betreffenden Tag am Himmel erreicht hat.

Der Text enthält weder das Datum der Beobachtung, für die die Positionen berechnet wurden, noch das Datum der Erstellung des Textes. Paläographisch lässt sich der Text in die späte Ptolemäerzeit oder frühe Römerzeit datieren. Wenn man die im Text beschriebenen Positionen neu berechnet, ergibt sich als bestes Ergebnis für die Positionen der Planeten ein Zeitpunkt um 3 Uhr morgens am 5. Juni 29 v. Chr. Allerdings ist dieser Zeitpunkt nicht ohne Fehler: Die Sonne hätte sich im Sternbild Zwillinge befunden, nicht im Sternbild Krebs, das im Papyrus angegeben wird.

Möglicherweise ist die frühe Entstehungszeit des Papyrus auch der Grund dafür, dass die Planeten nicht nach den später in anderen Horoskop-Papyri üblichen Ordnungsprinzipien (geozentrische Entfernung oder Reihenfolge der Tierkreiszeichen) aufgelistet sind. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Papyrus ein außergewöhnliches Zeugnis der frühen Entwicklung der Horoskop-Astrologie in griechischer Sprache in Ägypten darstellt.

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