BKT X 29 (P. 11831)
Dieses kleine Stück Papyrus, das bequem in der Handfläche Platz findet, ist für die Geschichte der Astrologie von großer Bedeutung, da es den ältesten bekannten Horoskoptext in griechischer Sprache auf einem Papyrus enthält.
Im Gegensatz zu den modernen Horoskopen, die man aus den Medien und aus Smartphone-Apps kennt, stehen die astrologischen Daten im Mittelpunkt und es gibt keine begleitende Analyse. Eine solche Analyse wäre anscheinend separat geliefert worden, was bei den meisten antiken Horoskopen der Fall gewesen sein dürfte, die wohl für eine persönliche Beratung zwischen einem Astrologen und seinem Kunden bestimmt waren. In diesem Fall könnte es sich, wie der erste Herausgeber Alexander Jones vorschlägt, um private Notizen handeln, die entweder der Astrologe oder der Kunde selbst verfasst hat.
Dieses Horoskop unterscheidet sich jedoch auch von anderen antiken „Original“-Horoskopen. Es trägt ungewöhnlicherweise keinen persönlichen Namen und keine weiteren Angaben, die darauf hindeuten würden, dass es die astralen Daten einer bestimmten Geburt darstellt, und auch kein Datum. Man fragt sich, um welches Horoskop es sich also handelt. Bei einem weiteren Berliner Papyrus, der in dieser Serie von Beiträgen beschrieben wird, fehlen ebenfalls ein persönlicher Name und eine eindeutige Angabe, dass es sich um ein Geburtshoroskop handelt. Man hat die Vermutung geäußert, dass es sich bei diesem Horoskop um eine Skizze für monumentale Zwecke handele, die dazu dienen sollte, ein Grabmal mit einer Darstellung des Sternenhimmels zur Zeit der Geburt eines Verstorbenen zu schmücken. Ein Geburtshoroskop ist hier nach wie vor die wahrscheinlichste Variante, aber auch andere Lebensereignisse, wie sie von Autoren der Astrologie wie Vettius Valens (2. Jahrhundert n. Chr.) beschrieben werden, sind möglich. Wie das Grabhoroskop handelt es sich auch hier um ein Beispiel für die Wiederverwendung von Material, da Spuren einer älteren Schrift darauf hindeuten, dass der Papyrusstreifen aus einem bereits für einen Dokumententext verwendeten Blatt oder einer Rolle herausgeschnitten wurde.
Abkürzungen für einige der Planeten- und Tierkreiszeichenbezeichnungen – so zum Beispiel Zwillinge und Venus, die mit den Buchstaben Ge und Ve geschrieben werden – deuten ebenfalls auf einen Kontext hin, in dem relativ erfahrene Schreiber tätig waren, und zwar unter der Annahme, dass die Leser die Abkürzungen aufgrund ihrer Vertrautheit mit dem Genre ausschmücken können. Die Positionen werden, wie in den meisten Originalhoroskopen, nur in ganzen Tierkreiszeichen angegeben, ohne die manchmal zusätzlich angegebenen Gradzahlen. So stand zum Beispiel der Mond, mit dem die Liste endet, im Löwen. Zudem wird das Tierkreiszeichen am Horizont, der „Aufgang“ oder griechisch horoskopos, der dem Genre den Namen gibt, vermerkt, und ein Gegenpol, der „Mitternachspunkt“ (mesouranēma), der dem höchsten Punkt der Sonne am betreffenden Tag entspricht.
Das Original enthält keine Angabe des Datums des Ereignisses, für das die Positionen berechnet wurden. Der erste Herausgeber, Alexander Jones, hat aufgrund einer Kombination aus paläographischer Analyse und erneuter Berechnung der Positionen vorgeschlagen, dass der Zeitpunkt der Berechnung der Positionen der Planeten etwa 3 Uhr morgens am 5. Juni 29 v. Chr. gewesen sein muss. Allerdings ist dieser Zeitpunkt nicht ohne Fehler: Die Sonne hätte sich in einem völlig anderen Sternbild befunden, nämlich in den Zwillingen, und nicht in dem, das auf dem Papyrus angegeben ist (Krebs). Vielleicht hängt dies mit dem frühen Entstehungszeitpunkt zusammen, dass die Planeten nicht nach den später in anderen Horoskop-Papyri üblichen Ordnungsprinzipien (geozentrische Entfernung oder Reihenfolge der Tierkreiszeichen) aufgelistet sind. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Papyrus ein außergewöhnliches Zeugnis für die frühen Tage der Horoskop-Astrologie in Ägypten in griechischer Sprache darstellt.

