Genossenschaftlicher Ackerbau

BGU IX 1900 (P. 11642)

Scan

Wenn Sie sich auch schon einmal über die hohe Miete oder Pacht Ihrer Wohnung, Hauses oder Gartens geärgert haben, dann geht es ihnen im Grunde genommen nicht anderes als den einfachen Menschen im alten Ägypten. Bereits damals wurden Landestücke verpachtet. Allerdings war die Pacht für ein solches Stück Land oftmals zu hoch, um von einer einzelnen Person beglichen zu werden. Da aber auch viele der Ärmeren auf eine solche Fläche angewiesen waren, um sich selbst und ihre Familie ernähren zu können, schloss man sich zu Pachtgenossenschaften zusammen. In diesen Pachtgenossenschaften wurde das Land gemeinsam gepachtet und anschließend unter den einzelnen Mitgliedern aufgeteilt. Der Pächter durfte sein Land nutzen, um daraus z.B. als Bauer landwirtschaftlichen Gewinn zu erwirtschaften. Neben der Pacht musste allerdings ein großer Teil in Form von Steuern abgegeben. Dennoch handelte es sich für viele um die beste Möglichkeit, ihr Überleben zu sichern. Auch heute noch sind einige Listen von solchen antiken Pachtgenossenschaften erhalten. Genau solch eine Liste ist der hier vorgestellte Text.

Bei dem Papyrus handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Blatt, sondern um eine Rolle, welche 160×23 cm groß und vollständig beschrieben ist. Der Text kam im Jahre 1912/13 durch einen Tausch aus dem Londoner British Museum in die Berliner Papyrussammlung. Geschrieben wurde der Text allerdings um 196–198 n.Chr. in Theadelpheia, einem griechischen Ort im Arsinoites, dem heutigen Faijum. Alter und Herstellungsort der Rolle konnten ermittelt werden, da im Text der Stratege Bolanos erwähnt wird. Von diesem weiß man bereits aus anderen Quellen, dass er um 196 n.Chr. lebte. Außerdem gibt es eine Verwandtschaft mit einem anderen Text, der heute im belgischen Gent aufbewahrt wird und dessen Abfassung auch auf 196–198 n.Chr. in Theadelpheia datiert werden konnte. Bei dem anderen Stück handelt es sich ebenfalls um eine Liste von Pachtgenossenschaften. Dabei werden teilweise dieselben Leute wie im Berliner Stück erwähnt. Daher wird auch eine Verwandtschaft zwischen den Texten vermutet, wobei man davon ausgeht, dass es sich bei dem Berliner Stück um das Ältere von beiden handelt.

In der Liste werden 50 Pachtgenossenschaften mit den jeweiligen Mitgliedern aufgeführt. Außerdem wird die Größe des gepachteten Landes bei den einzelnen Genossenschaften ergänzt. Die Mitglieder werden hierbei allerdings nicht in alphabetischer Reihenfolge gelistet, was auf eine topographische Anordnung hindeutet. Das bedeutet, dass die Mitglieder vermutlich nach ihrem Wohnort sortiert waren. Die Anzahl der Mitglieder in den einzelnen Pachtgenossenschaften ist dabei von Fall zu Fall unterschiedlich. Am häufigsten sind es sieben Mitglieder; dies ist bei 28 der 50 aufgelisteten Pachtgenossenschaften der Fall. Die übrigen 22 Genossenschaften haben alle zwischen fünf und neun Mitglieder. Die Größe des gepachteten Landes variiert dagegen nicht so stark. In 41 Fällen wird exakt eine Fläche von 80 Aruren verpachtet; eine Arure entsprach damals 100×100 Königsellen. In den übrigen neun Fällen ist die Fläche immer etwas kleiner oder größer als 80 Aruren. Diese gleicht sich im Endeffekt allerdings so aus, dass sich insgesamt eine Fläche von ungefähr 4000 Aruren ergibt. Aus dem Text lässt sich allerdings nicht genau schließen, ob es sich um eine einzige große Fläche oder mehrere kleinere handelt. Dies ergibt sich daraus, da der Text nur in der 154. Zeile eine Ortsangabe macht und diese Zeile scheinbar nur lose mit dem Rest des Textes zusammenhängt.

Der Zweck des Stückes ist allerdings nicht ganz eindeutig, da es im Text selbst keine Angaben dazu gibt, wie viel Fläche jedem einzelnen Pächter zusteht. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die Liste nur als Verzeichnis der Pachtgenossenschaften und ihrer Mitglieder angelegt wurde. Aus heutiger Sicht ist der Text dennoch sehr aufschlussreich. Da in der Liste nicht nur Bauern, sondern auch andere Berufe wie Fischer, Müller oder Hirte zu finden sind, bietet sie einen guten Einblick in die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des alten Ägyptens.

Dieser Beitrag wurde unter Stück des Monats abgelegt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Bitte hinterlassen Sie uns eine Nachricht:

* erforderlich

*