Glossar zu Homers Ilias

P. 5014

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Faust, Romeo und Julia oder auch die Songs der heutigen Stars – Lyrische Texte können manchmal sehr verwirrend sein, wenn die jeweiligen Dichter ihrer Kreativität freien Lauf lassen und seltene lyrische Wörter in ihren Werken verarbeiten. Vor diesem Problem stand anscheinend auch ein junger griechischer Schüler im 5. Jh. n. Christus. Das Stück Papyrus aus einem Kodex zeigt ein in Griechisch verfasstes Glossar zu den ersten 12 Versen von Homers Ilias.

Die Ilias ist eines der bedeutendsten und ältesten schriftlich festgehaltenen Werke Europas. Sie entstand im 8. oder 7. Jh. v. Chr. und behandelt einen Ausschnitt aus dem letzten Jahr des Trojanischen Krieges, der durch den Raub von Helena durch den Prinzen Paris ausgelöst wurde und dann 10 Jahre andauern sollte. Erzählt wird die Handlung in 24 Gesängen, die jeweils zwischen 400 und 900 Versen haben. Gemeinsam mit der Odyssee bildet die Ilias Homers literarisches Vermächtnis und ist mittlerweile weltbekannt. Im ersten Gesang, aus dem die oben genannten ersten 12 Verse stammen, wird die Handlung eingeleitet und ein Streit zwischen Achilles und Agamemnon mitsamt der Einmischung der Götter erzählt, womit das Grundgerüst für die nachfolgende Handlung geschaffen wird. Speziell die ersten sieben Verse sind ein so genanntes Proömium, eine Art Einleitung oder Vorwort, indem die Muse von Homer um Beistand für die nachfolgende Dichtung gebeten wird.

Über tausend Jahre später wurde diese ersten Verse des berühmten Werkes Teil des Schultextes auf unserem Papyrus. In der gesamten Antike waren Homers Werke und insbesondere die Ilias ein wichtiger Teil des Unterrichts in der Schule. So haben sich auch zahlreiche Schulübungen mit Versen aus der Ilias erhalten. Auf unserem Papyrus sollten die ersten Verse erklärt werden. Wort für Wort wurde das Proömium hier untereinander am linken Rand abgeschrieben. Jedes Wort der lyrischen Sprache wurde in der rechten Spalte durch ein Synonym in prosaischer Sprache erklärt. Die Aufgabe war womöglich, ein Glossar, eine Erklärung von Wörtern, herauszuarbeiten. Leider hat sich nicht der gesamte Text auf diesem Blatt erhalten, da der Papyrus beschädigt ist. So fehlen am Beginn die ersten drei Wörter und am Übergang von der Vorderseite zur Rückseite mehr als ein ganzer Vers. Außerdem kann man auf der Rückseite leider nicht mehr alles lesen. Ein Grund dafür ist, dass hier die Papyrusfasern senkrecht zur Schrift verlaufen, was die Lesbarkeit ohnehin etwas einschränkt. So können wir leider nicht mehr beurteilen, wie gründlich der Schreibende bei der Erstellung dieses Glossars gearbeitet hat. Ob dieses Schriftstück wirklich von einem Schüler kommt, oder nur eine Art Wörterbuch war, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht gab es einen kompletten Kodex, einen Vorgänger des Buches, in dem diese lyrischen Wörter erklärt wurden.

Der Fundort dieses Stückes ist das Faijûm, eine Oase südwestlich von Kairo, die in der Antike Arsinoites genannt wurde, wie man anhand von verschiedenen Schriftstücken belegen kann. Im Faijûm wurden sehr viele Papyri gefunden, teilweise waren sie zu Mumienkartonage verarbeitet worden und mussten erst aus diesen herausgelöst werden. Angekauft wurde der Papyrus 1879 für die Berliner Papyrussammlung und ist jetzt im Neuen Museum zu sehen.

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