Hymnus an Demeter

P. 11793

Scan

Unscheinbar, aber immer gut für Überraschungen. Ein kleines Papyrusfragment gibt Einblicke in die literarische Produktion jenseits der großen Bildungszentren und kann mit ansonsten kaum oder sogar gar nicht belegten Details punkten.

Der Papyrus stammt aus Mumienkartonage, die von Friedrich Zucker 1910 in Mellawi in Mittelägypten für die Berliner Papyrussammlung erworben wurde. Das bedeutet, dass der Papyrus in der Antike irgendwann nicht mehr gebraucht und daher als Füllmaterial in Mumienkartonage verarbeitet wurde. Aus dieser Mumienkartonage konnte der Papyrus dann wieder herausgelöst werden. Viele Beschädigungen rühren von dieser Verarbeitung her.

Die zwölf erhaltenen Zeilen sind in einer breiten und regelmäßigen Kursive geschrieben worden, die typisch für das frühe 3. Jahrhundert v.Chr. ist. Da die Schrift rechts und links fast bis an den Rand des Papyrus reicht, ist die ursprüngliche Zeilenlänge klar und für die nicht vollständig erhaltenen Zeilen sicher zu bestimmen. Die Breite der Ränder muss dagegen unsicher bleiben, da sie auch durch die Beschneidung des Papyrus während der Verarbeitung zu Mumienkartonage entstanden sein kann. Auf der Rückseite haben sich Spuren von zehn Zeilen eines anderen Textes erhalten.

Der Papyrus enthält den Beginn eines Hymnus an die Göttin Demeter. Demeter gehört zu den zwölf olympischen Göttern der griechischen Mythologie. Sie ist zuständig für die Fruchtbarkeit der Erde, der Saat und des Getreides, weshalb sie häufig mit einer Weizenähre bzw. Blumen und Früchten dargestellt wurde. Ihre wichtigste Kultstätte befand sich in Eleusis nordwestlich von Athen, wo ihr zu Ehren alljährlich die Eleusinischen Mysterien stattfanden. Demeter ist die Schwester von Zeus, Poseidon, Hades, Hera und Hestia. Mit Zeus hat sie die Tochter Persephone, die von Hades in die Unterwelt entführt wurde. Da die über diesen Verlust trauernde Demeter die Tier- und Pflanzenwelt absterben ließ, zwangen die anderen Götter Hades, Persephone freizulassen, die nun einen Teil jedes Jahres mit ihrer Mutter auf der Erde verbringen durfte, die restliche Zeit aber in der Unterwelt lebte.

Vom Hymnus selbst ist nur die Einleitung erhalten, in der die Göttin Demeter angerufen und danach in einer Vorgeschichte berichtet wird, wie die Welt zwischen den Göttern per Los aufgeteilt wurde. Poseidon bekam das Meer, Zeus den Himmel und Hades die Unterwelt. Hier bricht der Text zwar ab, doch ist anzunehmen, dass im nicht mehr erhaltenen Teil des Hymnus vom berühmten Raub der Persephone durch Hades und der Suche ihrer Mutter Demeter gesungen wurde.

Die Komposition, die hier in einer zum Teil fehlerhaften privaten Abschrift vorliegt, ist das Werk eines Amateurs mit vielen Anklängen an die alexandrinische Dichtung und insbesondere ihren berühmtesten Vertreter Kallimachos. Sie zeigen sich beispielsweise in der Verwendung des Namens Agesilas für Hades, wie er auch bei Kallimachos erscheint, ansonsten jedoch sehr selten und eher als Beiwort des Hades belegt ist. Ebenso auffällig sind die Neuschöpfung eines Wortes, für das sich als Muster eine ganz ähnliche Wortschöpfung in Kallimachos‘ Hymnus an Demeter findet, und die Bezeichnung der Priesterinnen der Demeter als Bienen.

Am interessantesten ist jedoch das ansonsten nur aus der lateinischen Dichtung bei Horaz bekannte Versmaß. In der griechischen Literatur ist es nur in diesem Hymnus belegt. Es handelt sich um ein als Archilochium primum genanntes Verspaar (Distichon), das aus einem Hexameter und einem daktylischen Tetrameter besteht, dessen beide Teile auf diesem Papyrus jedoch nicht durch einen Zeilenwechsel sichtbar werden. Die Verspaare sind durch einen kurzen Strich am Zeilenanfang getrennt. Benannt wurde dieses Versmaß nach dem griechischen Dichter Archilochos, dem es zugeschrieben wurde. Das ist allerdings unsicher. Möglicherweise handelt es sich um eine alexandrinische Erfindung, was die Anhängigkeit dieses Hymnus von der alexandrinischen Dichtung bestätigen würde.

Insgesamt zeigt dieser Hymnus eindrucksvoll, wie sich die gelehrte alexandrinische Dichtung und vor allem die des Kallimachos verbreitete. Dabei handelte es sich vermutlich um das Werk eines Lehrers oder auch eines Schreibkundigen mit literarischen und vor allem poetischen Ambitionen.

Dieser Hymnus an Demeter war in der Sonderausstellung „Klangbilder – Musik im Alten Ägypten“ zu sehen.

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