SB III 6216–6218 (P. 14000)
„Mit Schreiben und Lesen fängt eigentlich erst das Leben an“ – so lautet eine griechische Schreibübung des Schülers, der dieses Schulbuch benutzt hat. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Satz, den der Lehrer seinen Schülern diktiert oder zur Abschrift vorgegeben hat. Da ab der Ptolemäischen Zeit die griechische Sprache Amtssprache in Ägypten war, war das Erlernen der griechischen Schrift ein notwendiger Schritt für eine erfolgreiche Karriere im ägyptischen Beamtentum. Die wichtige Rolle der Sprache blieb auch die folgenden Jahrhunderte erhalten. Dieses Schulbuch ist der Zeit des 4. bis 5. Jh. n. Chr. zuzuweisen.
Das Buch besteht aus neun Holztafeln, die – ähnlich wie ein moderner Schulblock – über vier Löcher an der Seite zu einem Buch, einem sogenannten Kodex, zusammengebunden waren. Die Bindung selbst ist heute verloren, ebenso eine weitere Seite des Buches, das ursprünglich wohl zehn Seiten gehabt hat. Darauf deutet eine eingeritzte Linie hin, die sich von oben nach unten diagonal über die Kanten der Buchseiten zieht. An einer Stelle macht die Linie einen Sprung, was darauf hindeutet, dass hier eine Seite fehlt.
Damit jede Tafel nicht nur einmal benutzt werden konnte, wurde nicht direkt auf das Holz geschrieben, sondern auf eine rechteckige, mit Wachs aufgefüllte Vertiefung. So kann der Schüler die Übungen einfach mit einem Metallgriffel, Stilus genannt, in das Wachs einritzen. Mit der flachen Rückseite des Stilus’ kann das Wachs wieder glatt gestrichen und das geschriebene entfernt werden.
Glücklicherweise hat der letzte Benutzer seine Texte nicht komplett ausgelöscht, so bleiben einige Übungen bis heute sichtbar und geben Aufschluss darüber, was in der Schule behandelt wurde. Es gibt Schreibübungen und Übungen zur Silbentrennung sowie einfache Rechenaufgaben: 8+1=9, 8+2=10, 8+3=11, rechnet der Schüler, und auch 8+8=16 und 2×8=16. Auf einer anderen Seite hat er verschiedene christliche Zeichen eingeritzt. Interessanterweise sind zwei verschiedenen Handschriften in diesem Schulbuch zu unterscheiden, eine die etwas ungeübte des Schülers und eine erfahrenere, die höchstwahrscheinlich dem Lehrer gehört. Letzterer hat eine sententia von Menander in das Wachs geritzt, die möglicherweise als Schreibvorlage diente.
Diese Art der Schreibtafeln war im Schulkontext beliebt, ein paar dieser Exemplare sind bis heute erhalten geblieben. Allerdings ist es ungewöhnlich, dass ein Buch aus so vielen Tafeln zusammengefasst ist, was dieses Stück zu einer Besonderheit macht. Außerdem ist sein Erhaltungszustand ausgesprochen gut. Möglicherweise stammt es aus dem Ort Tebtynis, in der Nähe des heutigen Umm el-Baragat. Die im Faijum gelegene Stadt ist bekannt für seine vielen erhaltenen Papyri in griechischer und demotischer Sprache, die einen Einblick in das tägliche Leben bieten. Das Stück wurde 1912 von Wilhelm Ludwig Schubart von Ali in Giza angekauft und gelangte so in die Berliner Papyrussammlung.