Schuldschein

P. 8977 (SPP III2.2 129)

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Das Ausstellungsstück ist ein Beispiel dafür, dass die uns überlieferten Textzeugnisse allgemeinverständliche Prozesse abbilden können und nichtsdestoweniger Besonderheiten aufweisen, die noch ungeklärte Fragen aufwerfen. Sein Fundort, das nubische Gebelên, ist durch eine zuverlässige Händlerangabe gesichert. Außerdem gehört es zu einer größeren Gruppe thematisch und äußerlich miteinander verbundener Texte, die weitere Informationen gewähren. Neun griechische Zeilen sind auf die Haarseite eines Stücks Tierhaut geschrieben. Dieses Schreibmaterial ist eine echte Besonderheit. Die Häufigkeit von Leder liegt unter den übrigen Beschreibungsstoffen wenn überhaupt im unteren, hauchdünnen Promillebereich. Die Tierhaut wurde also nicht den spezifischen Methoden von Pergamentherstellung unterzogen. Auf Lederstücken aus der Gruppe finden sich regelmäßige Löcher für Nadel und Faden, so dass man von einem vorherigen täglichen Gebrauch als Kleidungs- oder etwa Zeltstoff ausgehen kann. Schrift auf der Haarseite, wie in diesem Fall, erhält sich deutlich besser aufgrund des geringeren Fettanteils gegenüber der Fleischseite. Das Alter lässt sich nur paläographisch ungefähr auf das sechste Jahrhundert n.Chr., also in die byzantinische Periode bestimmen. Zwar gibt der Text den Tag des Vorgangs an, doch das Jahr geht aus dem Dokument nicht hervor. Anhand der Schrift wurde eine Einengung auf das letzte Viertel des sechsten Jahrhunderts vorgeschlagen.

Der Inhalt gibt ein schönes Beispiel, dass die Menschen aus so fernen Zeiten uns so fremd nicht waren. Mit dem Lederfetzen bescheinigt Sle, von dem Phlyen-Vorsteher Ose fünf Goldsolidi erhalten zu haben, und erklärt sich bereit, diese auf Oses Verlangen zurückzuerstatten. Der Schreiber Sansnos gibt an, das Dokument am 18. Pharmuthi (13. April) der fünften Indiktion ausgestellt zu haben. Drei Personen werden als Zeugen genannt. Nach der doppelten Nennung des Werts, ausgeschrieben und als Zahlzeichen Epsilon, wird der behandelte Wert noch einmal gut sichtbar mit dem Zahlzeichen festgehalten. Wie andere dokumentarische Zeugnisse, die als Kassenzettel, Steuerquittungen und dergleichen fungierten, bringt uns das Stück aus Gebelên den Alltag der damaligen Bevölkerung näher. Hierbei handelt es sich um einen bestätigenden Schuldschein, wie er formal auch in Europa hätte entstehen können. Zwar geriet diese Art von Dokument mit der Institutionalisierung des Bank- und Kreditwesens etwas aus dem öffentlichen Blickfeld, ist aber heute noch im privaten Finanzgeschäft durchaus üblich. Das moderne Äquivalent im Bankwesen ist den Voraussetzungen nach der Kreditvertrag.

Doch nicht alles lässt sich unkommentiert in unsere heutige Zeit übertragen. Eine Phyle bezeichnete allgemein eine Arbeitereinheit. Die Spuren dieser Organisationsform lassen sich bis ins Alte Reich zurückverfolgen. Bei den Griechen war eine Phyle eine der Polis untergeordnete Verwaltungseinheit, die vormals wohl auch verwandtschaftliche Beziehungen berücksichtigte. Was hier konkret gemeint ist, bleibt offen. Der Solidus (nómisma) ist seit seinem noch von Diokletian initiierten Aufschwung zur Standardwährung im Ägypten des vierten Jahrhunderts eine übliche Münze, die auch noch zu Beginn der arabischen Zeit Verwendung fand. Ihr zeitgenössischer Gegenwert lässt sich durch die hohe Inflationsrate nur schwer bestimmen. Der 15jährige Indiktionszyklus ist in der Spätantike die typische Form der Datierung, doch hilft die Angabe, ohne den genauen Zyklus zu kennen, nicht bei der zeitlichen Einordnung weiter. Ose wird in mehreren Schreiben als Gläubiger adressiert, scheint also über ein gewisses Kapital verfügt zu haben und in Kreditangelegenheiten mehr oder weniger erfahren gewesen zu sein. Dem Schreiber Sansnos dagegen werden besonders in anderen Dokumenten eher bescheidene Griechisch-Kenntnisse attestiert, so dass man davon ausgeht, dass es sich dabei nicht um seine Muttersprache handelt und er die Dokumente vielleicht nur nachahmte. Die Zeugenangabe ist vielleicht am ehesten als Verquickung der inner- mit der außerdokumentarischen Welt zu interpretieren, die wohl die Verbindlichkeit des Geschriebenen erhöhen soll. Zu den Namen ist zu sagen, dass sie auf die Blemmyer verweisen, ein Volk, das in den griechischen Quellen erst im dritten Jahrhundert v.Chr. als Nomaden greifbar wird. Die römischen Kaiser mussten sich dagegen vor allem in der späteren Zeit mehrfach an der Südgrenze der Provinz handfest mit dem kriegerischen Volk auseinandersetzen. Zeitweise müssen die Blemmyer sesshaft gewesen sein und hielten einige Städte. Sie waren im 5. Jh. daran mitbeteiligt, dass der Isis-Tempel zeitweise als einziges heidnisches Heiligtum in dem christlichen byzantinischen Reich zugänglich war, das allerdings durch Justinian I. wieder geschlossen wurde. Das beschriebene Stück Leder zeigt, dass unsere alltäglichen Geschäfte nicht so verschieden von denen dieses recht spärlich bezeugten Volkes waren.

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