Fieberfrei durch Zauberei

SM I 10 (P. 21165)

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Wir alle kennen diese belastende Situation: Alles beginnt mit einer erhöhten Temperatur, man fühlt sich schlapp, dann wird einem heiß und kalt… Das Fieber hat einen mal wieder erwischt und die Pläne für die nächsten Tage gehen den Bach runter. Wie schön wäre es da, wenn man das Fieber mit Hilfe von Magie im Handumdrehen beseitigen oder gar nicht erst daran erkranken könnte? Das dachte sich wohl auch der Schreiber dieses Zauberpapyrus. Hierbei handelt es sich nämlich um ein magisches Amulett zum Schutz einer Person namens Tuthus vor Fieber und Schüttelfrost.

Das auf das 3.–4. Jh. n. Chr. datierte Papyrusfragment stammt wahrscheinlich aus dem Faijûm, einer Großoase südwestlich von Kairo. In der Antike wurde die Gegend auch Arsinoites genannt und war eines der landwirtschaftlichen Zentren des Landes. Der Papyrus hat eine hellbraune Farbe und ist durch eine dunkle Verfärbung auf der linken Seite gekennzeichnet. Zudem ist er an allen Rändern beschädigt und wurde dreimal horizontal und siebenmal vertikal gefaltet. Dies spricht dafür, dass der Papyrus ein Päckchen bildete, welches Tuthus womöglich an einer Schnur um den Hals trug (dies war im Alten Ägypten bei Amuletten und Schutzsymbolen häufig der Fall). Die Zauberzeichen und die griechischen Zauberwörter – in großer, nach rechts geneigten Schrift – befinden sich auf dem Rekto (Vorderseite). Das Verso (Rückseite) ist unbeschrieben. Das Amulett setzt sich aus mehreren Bestandteilen zusammen:

Am oberen Rand des Papyrus lassen sich zwei parallele Zeilen mit Zauberwörtern erkennen. Bei den ersten drei Wörtern der ersten Zeile „Adonai“, „Eloai“ und „Sabaoth“ handelt es sich um hebräische Götter-, Engel- und Äonennamen. Da den Begriffen eine kraftvolle und mächtige Bedeutung zugeschrieben wurde, lassen sie sich vermehrt und oft gemeinsam auf magischen Amuletten finden.

Ähnlich ist es bei den beiden darauffolgenden Wörtern „αβλαvαϑαvαβλα“ und „ακραμμαχαμαρι“. Sie sind ebenfalls semitischen Ursprungs und wurden äußerst häufig auf magischen Texten genutzt. Bei ersterem lässt sich dies vor allem auf dessen Aufbau zurückführen. So ist αβλαvαϑαvαβλα eine Verschreibung von αβλαvαϑαvαλβα (ABLANATHANALBA). Hierbei handelt es sich um ein Palindrom, also ein Wort, welches vorwärts und rückwärts gelesen dasselbe ergibt. In Zaubertexten wurden solche Wörter, allen voran αβλαvαϑαvαλβα, häufig genutzt, denn es bestand der Glaube, dass das Rückwärtslesen von Wörtern den Zauber aufheben würde. Mit Palindromen wollte man dies verhindern und nebenbei dafür sorgen, dass der Zauber sogar weiter verstärkt wird, wenn eine Person versucht, ihn durch Rückwärtslesen zu brechen. Da αβλαvαϑαvαλβα auf Gemmen vermehrt gemeinsam mit Sonnengottheiten verwendet wurde, wird dem Wort eine solare Bedeutung zugeschrieben. Eine weitere mögliche Bedeutung von αβλαvαϑαvαλβα ist „Vater komm zu uns!“. Bedeutungen von Palindromen sind jedoch skeptisch zu betrachten, da sie in erster Linie dafür gebildet wurden, dass sie rückwärts und vorwärts gelesen dasselbe ergeben. Bei der abweichenden Schreibweise des Wortes auf dem Zauberpapyrus handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen Fehler. Der Schreiber wird wohl kaum beabsichtigt haben, dass man den Schutzzauber aufheben kann. Eher schien ihm der Charakter des Wortes als Palindrom nicht bekannt gewesen zu sein. Dieses Phänomen ist nicht selten, weshalb αβλαvαϑαvαλβα tatsächlich sehr oft falsch geschrieben auf magischen Amuletten vorkommt.

Αβλαvαϑαvαλβα tritt häufig zusammen mit dem Wort ακραμμαχαμαρι auf (vgl. Z. 1). Ακραμμαχαμαρι (AKRAMMACHAMARI) setzt sich aus den ursprünglich verschiedenen Zauberworten ακραμμα und χαμαρι zusammen. Da das Wort oft im Zusammenhang mit der Sonne genutzt wurde, beispielsweise in einem anderen Zaubertext als Name des griechischen Sonnengottes Helios bzw. der Sonne zur dritten Stunde, wird ακραμμαχαμαρι ebenfalls eine solare Bedeutung zugeschrieben. Es wurde jedoch nicht ausschließlich in diesem Kontext verwendet und stand im allgemeineren Sinne wie viele andere Zauberwörter für Macht und Kraft. Ähnliches gilt für das erste Wort der zweiten Zeile „σεσενγερβαρφαρανγης“ (SESENGERBARPHARANGĒS), welches oft gemeinsam mit ακραμμαχαμαρι verwendet wurde.

Nach diesem Zauberwort folgen in der zweiten Zeile die sieben Vokale des griechischen Alphabets: αεηιουω. Diese sind ebenfalls geläufig für magische Texte und werden meist als die sieben klassischen Planeten gedeutet, welche alle mit dem bloßen Auge sichtbar und schon seit der Antike bekannt sind. Dabei handelt es sich um Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn.

Nach den sieben Vokalen bediente sich der Schreiber wieder kraftvoller Wörter, um die Magie zu entfalten. Das erste Wort „Iao“ ist ein weiterer Name des Gottes der Hebräer und wurde aufgrund seiner Macht auf sehr vielen magischen griechisch-römischen Amuletten verwendet. Es lässt sich in der zweiten Zeile auch noch ein weiteres Mal finden (vorletztes Wort). Das zweite Wort „Φρη“ (PHRĒ) steht für Re also ägyptisch für „die Sonne“.

Unter den zwei Anfangszeilen befindet sich auf der linken Seite des magischen Amuletts eine Kolumne bestehend aus sechs Zeilen. Bei der ersten handelt es sich wieder um die sieben Vokale, die weiteren fünf enthalten je einen Engelnamen, welche als Schutzzauber dienen sollten. Bei den genannten Engeln handelt es sich überwiegend um Erzengel, d.h. Engel von höherem Rang. Sie sind untereinandergeschrieben in folgender Reihenfolge genannt: Uriel, Michael, Gabriel, Suriel, Raphael. Unter ihnen gilt Michael, der Erzengel mit dem höchsten Ansehen, als Engel des Friedens sowie Helfer und Beschützer des Menschen vor Gott und auf Erden. Der Erzengel Gabriel steht für Gnade, Gerechtigkeit und gilt als Bringer guter Botschaften. Raphael hat als Erzengel die Heilmacht inne, was sich auch an der Bedeutung seines Namens ,,Gott heilt“ oder „Heiler Gottes“ zeigt. Der Textverfasser vertraute auf all die genannten Kräfte der Engel und rief sie daher an, um Tuthus vor dem Fieber zu schützen.

Rechts neben der Kolumne lässt sich ein sogenannter „Uroboros“ erkennen. Dabei handelt es sich um eine Schlange, manchmal auch ein Drache, die in ihren eigenen Schwanz beißt. Uroboroi wurden sehr häufig auf Zauberpapyri des hellenistischen Ägyptens abgebildet. Das Wort setzt sich aus den griechischen Begriffen „οὐρά“ (OURA) für Schwanz und „βορός“ (BOROS) für verzehrend zusammen und bedeutet somit „Schwanzverzehrender“. Da er sich selbst verschlingt und sich gleichzeitig selbst zeugt, steht der Uroboros in erster Linie für Ewigkeit bzw. Unendlichkeit sowie als Symbol für den universellen Zyklus von Kraftverbrauch und Kraftregeneration. Somit versinnbildlicht er auch die Natur, die wiederkehrende Zeit, das Jahr sowie den Lauf der Sonne, des Mondes, des Himmels und des Universums. Autarkie ist ein weiteres Merkmal des Uroboros: Sein Körper bildet einen geschlossenen Kreis, die vollkommenste aller Formen. Er ist unabhängig von Wahrnehmung und Fortbewegung, da sich um ihn herum Nichts befindet. Zudem benötigt er keine Nahrung, da er seine eigenen Exkremente und sich selbst verzehrt. Der Kreis des Uroboros auf dem magischen Amulett ist gefüllt mit einem weiteren verbreiteten Zauberwort: „σεμεσιλαμ“ (SEMESILAM). Es erstreckt sich über zwei Zeilen und steht auf Hebräisch für ,,ewige Sonne‘‘ oder möglicherweise ,,leuchtende Sonne“. Unter diesem Wort stehen, abgetrennt durch eine Linie, ein weiteres Mal die sieben Vokale.

Ab dem Uroboros führt die Linie weiter nach rechts. Sie wird von einem Kreuz, drei S-förmigen zueinander parallelen Linien, einem geraden Strich sowie einem weiteren Kreuz geschnitten, wobei es sich um „signa magica“ handelt, was auf Latein ,,magische Zeichen“ bedeutet. Eines davon ist das sogenannte „Chnumiszeichen“ (auch Chnouphiszeichen oder Chnubiszeichen). Es setzt sich aus einer waagerechten Linie zusammen, die von drei S-förmigen Linien gekreuzt wird. Die Linien stellen hierbei Schlangen dar. Das Zeichen steht in Verbindung mit dem schlangengestaltigen Gott Chnumis sowie mit dem Nil- und Schöpfergott Chnum, welcher ebenfalls als Schlange in Erscheinung treten kann. In griechisch-römischer Zeit stand die sich häutende Schlange für Verjüngung und für das sich fortwährend erneuernde Jahr. Man stellte sich auch den Nil als Schlange vor, da dessen Flut das neue Jahr und die damit einhergehende Erneuerung einleitete. Träger von Amuletten mit Chnumisdarstellungen oder mit einem Chnumiszeichen hofften, dass die regenerierende Kraft auch auf sie übergehen und somit ihre (gesundheitlichen) Probleme beheben würde.

Die Linie mit den signa magica endet rechts in einem länglichen Oval, das mit weiteren Zauberwörtern gefüllt ist. Der Begriff in der ersten Zeile sowie das erste Wort in der dritten Zeile sind Teile einer in anderen magischen Amuletten genutzten Formel. In der mittleren Zeile lässt sich dreimal der griechische Buchstabe „Zeta“ (Ζ) erkennen, welcher von einem waagerechten Strich gekreuzt wird. Dies könnte ein Symbol des Planeten Zeus bzw. Jupiter sein.

Auf der rechten Seite befinden sich fünf Zeilen mit Zauberwörtern, welche mit einer Umrandung versehen sind. Diese hat die Form einer „Tabula ansata“. Der Begriff ist lateinisch für „Tafel mit Handhaben“ und bezeichnet eine rechteckige Inschriftentafel mit seitlichen Ansätzen, welche in der Antike beliebt war. Ihr Zweck war es, die eingefasste Schrift hervorzuheben. Die von der Tabula ansata eingefassten Wörter des Zauberpapyrus kommen so bzw. in leichter Abwandlung bereits in den ersten zwei Zeilen vor: αβλαvαϑαvαβλα, αχραμμαχαμαρι, σεσενγενβφαραγης, Iao und Sabaoth. Das erste Wort in der letzten Zeile der Tabula ansata setzt sich zusammen aus „ωρι“ (ŌRI) für „groß ist Re“, bezogen auf den altägyptischen Sonnengott, und „φερ“ (PHER), was als Anfang mehrere Zauberworte verwendet wurde.

Unterhalb der signa magica, des Ovals und der Tabula ansata befindet sich ein Gebet, welches sich an die Götter und Engel richtet und wie folgt übersetzt werden kann: „Schützt Tuthus, den Sara geboren hat, vor jedem Schüttelfrost und vor dem Fieber, sei es jeden dritten Tag, jeden vierten Tag, jeden Tag, tagtäglich, oder jeden zweiten Tag. Eloai Engel Adonias Adonaei, schütze…“. Die Zeitangaben beziehen sich nicht, wie man vielleicht denken könnte, auf den erhofften Schutz, sondern auf das Fieber. Hierbei ist wahrscheinlich das sogenannte Sumpf-/ Wechselfieber (Malaria) gemeint, welches sich in der Antike im Mittelmeerraum ausbreitete. Schon damals traten unterschiedliche Arten auf, die je nach Häufigkeit der Fieberschübe differenziert wurden. Erwähnenswert ist bei dem Gebet zudem die Nennung der Mutter. In der ägyptischen Magie war es üblich, nicht den Namen des Vaters, sondern den der Mutter nach dem des Magie-Empfängers zu nennen.

Der Zauberpapyrus ist ein sehr detailreiches und aussagekräftiges Beispiel für die magischen Amulette, welche im Alten Ägypten und während der Antike beliebt waren. Sie wurden am Körper getragen (wie unser Zauberpapyrus oft als Kette um den Hals) und sollten dem Träger Glück, Schutz und Heilung bringen. Hierfür suchte sich der Magier Hilfe bei Gottheiten, Engeln sowie weiteren Heiligen und lud das Amulett mit magischen Formeln auf. Bei unserem Amulett wird dies sehr deutlich: Der Schreiber beruft sich mehrfach auf mächtige und kraftvolle Wörter, Gottheiten und Engel, Elemente der Astronomie sowie Symbole der Regeneration und Ewigkeit, um die Magie zu entfalten und den Schutzzauber zu aktivieren. Amulette mit Zaubersprüchen gegen Fieber und Schüttelfrost waren tatsächlich sehr verbreitet. Daneben gab es auch viele für klare Sicht oder mit Liebeszaubern. Schon Neugeborenen wurden magische Amulette zum Schutz umgelegt. Sie sollten jedoch nicht nur im Diesseits, sondern auch im Jenseits schützen und wurden dafür den Toten beigesetzt. Amulette haben sich bis heute durchgesetzt und werden (vereinzelt) immer noch als Glücksbringer getragen. Daher sind antike Amulette wie dieser Zauberpapyrus von Bedeutung, denn sie lassen uns die Entwicklung und lange Tradition von magischen bzw. schützenden Amuletten belegen und nachvollziehen.

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06569

P. 18048

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keine Inv.Nr.

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P. 17579 R

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P. 17579 V

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Geheimnisvolle Kräuterliste

BGU III 953 (keine Inv.Nr.)

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Wir haben bestimmt schon alle mal einen Einkaufszettel geschrieben. Den Wenigsten kommt dabei in den Sinn, dass dieser Zettel in mehreren Jahrtausenden gefunden und untersucht werden könnte. So ging es sicherlich auch Nikon, dem Verfasser dieser Kräuterbestellung. Leider ist die genaue Untersuchung des Papyrus‘, die sicherlich viele Informationen hervorbringen würde, nicht mehr möglich, da er bei einem Brand im Hamburger Hafen 1899 mit anderen Papyri verbrannte.

Das Stück wurde mit einigen anderen bei einer Ausgrabung gefunden, die im Auftrag der Generalverwaltung der königlichen Museen zu Berlin von Januar bis März 1899 mit Ulrich Wilcken und Heinrich Schaefer stattfand. Die Grabung wurde in Ehnâs-Herakleopolis durchgeführt, das sich westlich des Nils in Mittelägypten in der Nähe des heutigen Ehnasya el-Medina befand, 15 Kilometer westlich von Beni Suef. Ulrich Wilcken schrieb die Liste und einige andere Papyri noch vor Ort ab, wodurch zumindest deren Inhalt bekannt ist. Dennoch ist zu erwähnen, dass diese Abschriften von Wilcken mit dem Gedanken angefertigt wurden, er könne sie zu einem späteren Zeitpunkt (bei der näheren Auseinandersetzung mit den Stücken) verbessern, weshalb auch diese nicht ohne weiteres als perfekte Kopien der Inhalte der Schriften angesehen werden können.

Nach der Anfertigung dieser Abschriften wurden viele der Funde im Frühling 1899 auf ein Schiff geladen, dass die ca. 80 Schachteln mit Papyri (davon enthielten 2 Schachtel bereits 250 Lagen geglättete und in Pflanzenpapier gelegte Papyri) sicher in den Hamburger Hafen bringen sollte. Von dort aus plante man die Ladung zum größten Teil nach Berlin zu bringen. Leider brach kurz nach der Ankunft des Schiffes ein Feuer aus, in dessen Folge die gesamte Ladung verbrannte.

Dank Wilckens Abschrift ist bekannt, dass das Papyrus aus sechs Zeilen bestand. Die erste Zeile beschrieb wohl den Absender bzw. denjenigen, der bestellte, nämlich Nikon. Die folgenden fünf Zeilen bestanden aus jeweils einem Kraut sowie einer Mengenangabe, die sich rechts des Produktes befand und vollständig ausgeschrieben war. Zusätzlich zu der angefertigten Abschrift, datierte Wilcken das Stück auf das 3./4. Jh. n. Chr.

Wie wir heute Milch und Mehl in unterschiedlichen Maßeinheiten messen und meist auch so auf unsere Einkaufslisten schreiben, so bemerkt man auch auf der Bestellung des Nikon unterschiedliche Maße. In der zweiten Zeile der Liste wird das Maß von fünf Gewichtsstatere genutzt, was ca. 8g entspricht. Statere waren eigentlich Münzen, die aber neben der Nutzung als Zahlungsmittel auch als Gewicht zum Einsatz kamen. Da sich die Münzen an Gewicht über die Zeit verändert haben, jedoch nicht Statere als Maßeinheit, ist keine sichere Umrechnung in das heutige Gewicht mehr möglich. Neben dem Stater wird auch die Unze als Maßeinheit in der Bestellung genutzt. Diese Maßeinheit kommt in den Zeilen zwei, vier und sechs vor und entspricht jeweils ca. 30g. In der fünften Zeile wird die Maßeinheit der Obole genutzt.

Links der Maßeinheiten standen verschiedene Kräuter. Diese wurden von Andrea Jördens und Antonio Riccardetto wie folgt aus dem Griechischen übersetzt: In der zweiten Zeile der Liste wird von Malabathron bzw. Cinnamomum malabathrum, in der dritten wird von Costus bzw. Costus arabicus und in der vierten von Kassia bzw. Cinnamomum iners (eine Art von Zimt) geredet. In der fünften wird von Sesel gesprochen, welcher sowohl als Tordylium officinale als auch als Blupleurum Fruticosum („Hasenohr“) verstanden werden kann, wobei Andrea Jördens eher von der zweiten Bedeutung ausgeht. Dieses Kraut wurde nachweißlich, wie die anderen aus der Bestellung, damals aus dem Süd- und Osthandel bezogen. Zuletzt ist in der sechsten Zeile von Balsamhölzern die Rede.

Zwei der fünf Kräuter sind einfach als Heilkräuter identifizierbar, da es einige Rezepte für Heilmittel aus dem Zeitraum gibt. Zum einen das Costus arabicus, dessen Wurzel als vielseitiges Arzneimittel zum Beispiel als Mittel gegen „Klopfen“ (vermutlich Fieber) genutzt wurde.

Zum anderen kommt auch das Kraut Sesel bzw. Bupleurum fruticosum in einigen Rezepten vor. Es wird vermutet, dass es sich bei der vorliegenden Bestellung um Sesel handelt, der möglicherweise aus Nubien importiert wurde. Neben der Nutzung der Reisige des Sesels im Kultus, wurde es teilweise auch für Augenmittel, gegen Gebärmutterschmerzen, gegen Sonnenbrandflecken, zur Förderung der Menstruation und zu weiterem benutzt. Nachdem Jean-Claude Goyon das Blupeurum eingehend untersucht hatte, spricht er ihm aufgrund des Coniin-Gehalts eine schmerzlindernde und krampflösende Wirkung zu.

Die drei anderen Kräuter sind hingegen nicht unbedingt als Heilpflanzen bekannt. Jedoch lassen sich einige Erwähnungen und Beschreibungen mit zwei der drei Pflanzen in Verbindung bringen. So findet sich in einigen Texten ein Gewürz, das mit Kassia bzw. Zimt in Verbindung gebracht werden kann. Es wird zum Beispiel als Rohstoff benannt, der aus Punt (Somalia) importiert wird. Im Papyrus Ebers wird er als aussehend wie „Bohnen von Kreta“ beschrieben, was leider kaum bei einer Identifikation hilft. Dennoch werden in einigen Rezepten von Teilen der Pflanze, wie zum Beispiel von der Wurzel, dem Sägemehl bzw. Mehl und dem Holz gesprochen. Diese Teile können mit dem Zimtbaum in Verbindung gebracht werden. Die Pflanze wird verschieden angewandt. Das Holz wird beispielsweise genutzt um den Geruch von Kleidern oder den des Hauses angenehmer zu machen. Das „Sägemehl“ wird zur Belebung der Gefäße äußerlich mit anderen Zutaten angewandt. Und die Wurzeln werden als Kaumittel gegen Geschwüre an Zähnen und zur Wachstumsförderung des Zahnfleisches eingesetzt. Bei der Beschreibung über die Einbalsamierung der Verstorbenen ist wohl auch einmal von Zimt die Rede, der mit anderen wohlriechenden Kräutern die Leiche vorbereitet. Das Balsamholz, das in der sechsten und letzten Zeile der Bestellung Erwähnung findet, wird leider nicht näher präzisiert. Meist wird direkt von Balsam oder vom „Saft des Balsambaumes“ gesprochen, was eine Art Harzproduckt vermuten lässt. Das Balsamholz bzw. der Balsam wird bevorzugt in Mitteln für die Augen verwendet. Meist wird es in Kombination mit schwarzer Augenschminke (Gemisch mit Bleiglanz) und weiteren Mineralischen Stoffen verwendet.

Bei Malabathron lässt sich ein medizinischer Nutzen nicht ausschließen, konkrete Rezepte oder die Dokumentation einer konkreten Anwendung ist jedoch noch nicht bekannt.

Über den Wert der einzelnen Pflanzen im 3./4. Jh. n. Chr. lässt sich nichts Genaueres sagen, obwohl der Import der aufgelisteten Waren allein sicherlich seinen Preis hatte.

Die Kräuter auf der Liste sind zwar größtenteils einem medizinischen Nutzen zuzuordnen, ihre Menge und ihre unterschiedlichen Anwendungsbereiche weisen jedoch darauf hin, dass es sich hier tatsächlich ausschließlich um eine Bestellung und nicht um ein Rezept handelt. So lässt sich die Vermutung Wilckens verneinen, es handele sich möglicherweise um ein Rezept für ein Zaubermittel.

Die Bedeutung dieser einzelnen Liste scheint für heutige Verhältnisse vielleicht nicht sehr bedeutend. Doch birgt dieses Stück viele Fragen. Handelt es sich tatsächlich um eine Liste, und wenn ja für welchen Zweck? Wer war Nikon? Hatte er vielleicht ein neues Heilmittel erfunden? Erforschte er etwas Bestimmtes? Obwohl dieses Stück so viele Fragen aufwirft, ist es wertvoll. Denn es könnte uns in Verbindung mit anderen Listen und Rezepten einen Eindruck verschaffen, wie selten und kostbar einige Kräuter waren, welche Handelsbeziehungen für deren Beschaffung nötig waren und vielleicht auch wie sich ihre Bedeutung und ihr Wert über die Zeit verändert hat. So bildet dieses Stück einen weiteren kleinen Teil eines unendlichen Mosaiks aus Informationen über die Vergangenheit.

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Bewirtschaftungsauftrag

O.Wilck. 1224 (P. 321)

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Ägyptens Reichtum beruhte auf den jährlichen Überschwemmungen des Nil und seinem fruchtbaren Uferland; das Land galt daher als Kornkammer der Antike. Die alten Ägypter besaßen auch exzellente Bewässerungssysteme, wodurch sich ihr Wohlstand noch mehrte. Das folgende Fundstück gibt einen Einblick in die wirtschaftliche Organisation des Getreideanbaus.

Es handelt sich um eine beschriftete Tonscherbe, ein Ostrakon. Ostraka ermöglichen uns einen besseren Einblick in das Alltagsleben der in der Antike lebenden Bevölkerung. Sie dienten als eine Art „antikes Schmierpapier“ für Notizen, Schulaufgaben, Abrechnungen, Quittungen und kurze Briefe aller Art.

Dieses Ostrakon wurde am 30. März 1859 durch den deutschen Ägyptologen Heinrich Brugsch in Theben durch einen Ankauf erworben. Brugsch gilt als einer der größten Ägyptologen des 19. Jahrhunderts.

Beschrieben ist es mit zehn griechischen Zeilen. Der Text lässt sich auf den 17. Oktober 695 n. Chr. datieren. Er wurde also in der Zeit nach der arabischen Eroberung Ägyptens geschrieben, die im Jahr 641 n. Chr. erfolgte. Dabei wird im Text kein eindeutig bestimmbares Datum genannt. Vielmehr wird er auf den 19. Phaophi der 9. Indiktion datiert. Der Phaophi ist ein ägyptischer Monatsname. Der 19. Phaophi entspricht dem 17. Oktober. Die 9. Indiktion lässt sich leider nicht so einfach in unser heute verwendetes Datierungssystem umrechnen. Bei der Indiktion handelte es sich um ein im 4. Jh. n. Chr. entstandenes Datierungssystem zur Zählung der Steuerjahre. Es hatte einen Zyklus von 15 Jahren und wurden einfach durchnummeriert. Im hier behandelten Text wird das 9. Jahr dieses Zyklus angegeben. Für die Menschen der damaligen Zeit war klar, in welchem Jahr sie lebten. Für uns heute ist die Umrechnung ohne weitere datierende Anhaltspunkte schwierig – es gab zu viele 9. Indiktionen. Doch liefert uns der Text einen Hinweis. Der im Text erwähnte Pekysios ist auch aus anderen Texten bekannt, die sich eindeutiger datieren lassen. Somit können wir auch das Indiktionsjahr zuweisen und den Text in das Jahr 695 datieren.

Über Pekysios erfahren wir, dass er protokometes (eine Art Dorfoberhaupt) in der Festung von Memnoneia auf der westlichen Nilseite gegenüber Theben war. In dem Text auf dem Ostrakon beauftragt er in dieser Funktion einen Josephios, gepachtetes Land zu bewirtschaften, obwohl es ausgetrocknet und mit Schilf bewachsen ist. Grundlage für die Fruchtbarkeit des alten Ägyptens und seinen Status als Kornkammer der Antike waren die jährlichen Überschwemmungen des Nils, die den nährstoffreichen Schlamm brachten, der dem Boden seine Fruchtbarkeit verlieh. Doch erreichten die Überschwemmungen nicht immer alle Äcker oder fielen zu gering aus. Um diesen unkalkulierbaren Risiken zu begegnen, errichtete man ein umfangreiches Bewässerungssystem mit Kanälen, Schöpfrädern u.ä. Auf solche Bewässerungsvorrichtungen wird auch in unserem Text verwiesen. Josephios soll das Ackerland mittels einer Bewässerungsapparat bewirtschaften, der einem Pouar gehört. Mit gebotener Vorsicht wird man daraus schließen können, dass die Familie dieser Person von einiger Wichtigkeit in dieser Gegend gewesen war. Pouar wird am Ende des Textes erneut erwähnt, und zwar als Vater eines Paulos. Dieser war offenbar vor Pekysios protokometes und hatte wohl mit Josephios eine ähnliche Vereinbarung zur Bewirtschaftung des Ackerlands getroffen, auf die hier lediglich verwiesen wird.

Wir erfahren leider nicht, welche Pflanzen Josephios auf diesem Ackerland angebaut hat. Vermutlich war es aber Getreide. Immerhin wird im Text aber auch auf den Pachtvertrag verwiesen, durch den Josephios überhaupt dieses Ackerland bewirtschaften konnte. Durch ihn hat er sich verpflichtet, ein Drittel der Erträge als Pachtgebühr zu entrichten. Das sind 1/6 Goldnomisma, eine in jener Zeit verwendete Währung.

Dieser Text gibt nicht nur einen Einblick in das Leben der einfachen Leute und die Verwaltungsstrukturen des alten Ägypten, er ist vor allem ein maßgeblicher Beweis dafür, dass selbst unter der arabischen Herrschaft andere Sprachen wie das Griechische selbst in wichtigen Verwaltungsinstitutionen genutzt wurden und somit weiterhin Bestand hatten.

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Weisheit oder Macht – wer ist der moralische Sieger?

BKT IX 38 (P. 6934 V + P. 21137 V)

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Die Auseinandersetzung zwischen Weisheit und Macht ist ein altes Thema. So wundert es auch nicht, dass von vielen berühmten weisen Frauen und Männern Geschichten überliefert sind, in denen von solchen Auseinandersetzungen berichtet wird. Ein fragmentarisch erhaltenes Beispiel findet sich auf einigen Papyrusfragmenten der Berliner Papyrussammlung.

Unter dem Namen des berühmten griechischen Arztes Hippokrates von Kos sind nicht nur medizinische Texte überliefert. In der Antike zirkulierten auch Briefe von ihm. Sie geben vor, Teile seiner Korrespondenz zu sein, und könnten somit wertvolle Einsichten in das Denken und Handeln des Hippokrates liefern. Doch aufgrund vieler Anachronismen müssen sie als fiktiv und daher als pseudo-hippokratisch bezeichnet werden. Diese Briefe behandeln das Thema der Auseinandersetzung zwischen Macht und Weisheit und zeigen die moralische Überlegenheit des idealen Arztes Hippokrates. Von vielen Briefen gibt es mehrere Versionen desselben Inhalts, aber unterschiedlicher Länge. Sie sind in mittelalterlichen Handschriften überliefert worden und haben sich in Abschriften auch auf einigen Papyri aus dem römerzeitlichen Ägypten erhalten.

Auf dem Verso (Rückseite) mehrerer Fragmente einer beidseitig beschriebenen Rolle haben sich Reste einiger dieser Briefe enthalten. Auf dem Rekto (Vorderseite) ist fragmentarisch eine Urkunde aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. erhalten. Daher sind die Briefe auf dem Verso etwas später zu datieren. Die Papyri stammen aus dem Faijum, einer Großoase südwestlich von Kairo, gehörten später zur Privatsammlung des Ägyptologen Heinrich Brugsch und kamen 1891 in die Berliner Papyrussammlung.

Im ersten Brief, der sich auf diesen Papyri erhalten hat, wird der Arzt vom persischen Statthalter Hystanes am Hellespont über das Angebot des Großkönigs Artaxerxes informiert, an dessen Hof in Persepolis zu kommen, um dort als Hofarzt zu arbeiten. Im sich direkt anschließenden Brief lehnt Hippokrates dieses Angebot mit der Begründung ab, Feinde der Griechen nicht zu heilen. Die restliche bekannte Korrespondenz zu diesem Thema wird auf diesem Papyrus nicht wiedergegeben. Stattdessen schließt sich ein Brief des Hippokrates an, der eine Antwort auf ein hier ebenfalls nicht wiedergegebenes Bittgesuch des Rats und des Volkes der griechischen Stadt Abdera in Thrakien enthält. Der Arzt sagt den Abderiten seine Hilfe zu, den vermeintlich am Wahnsinn erkrankten berühmten Philosophen Demokrit zu heilen. Dabei lehnt er in Anspielung auf die Korrespondenz mit den Persern jede Bezahlung ab.

Durch die Kombination dieser beiden Korrespondenzen wird das Thema der Auseinandersetzung zwischen Macht und Weisheit sehr deutlich. Während Hippokrates sich dem mächtigen persischen Großkönig verweigert, sagt er unmittelbar darauf der kleinen griechischen Stadt Abdera für den kranken weisen Mitbürger Demokrit seine Hilfe zu.

Die einzelnen Briefe wurden auf dem Papyrus durch paragraphoi (horizontale Striche am Zeilenanfang) getrennt. Eine solche paragraphos ist über der siebten Zeile noch deutlich sichtbar. Die Grußformel und der Briefanfang sind in ekthesis (hängender Einzug) geschrieben und so ebenfalls markiert worden.

Aufgrund der Wiederverwendung der Papyrusrolle und der Beschriftung des Versos mit diesem Text handelt es sich wohl um eine private Kopie dieser Briefe, die vermutlich unter dem genannten Thema der Auseinandersetzung zwischen Macht und Weisheit zusammengestellt wurden.

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11536

P. 8301

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Ausgerechnet erbaulich: eine Anthologie aus dem Kleitorios-Archiv

P. 12311

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Zuerst eine Rechnung, dann geupcyclet als Schriftträger für eine Schreibübung: Dieses Ostrakon beinhaltet neben wenigen Spuren der verschollenen Rechnung eine „Anthologie“ mit drei kurzen Texten! Auf dem Ostrakon sind drei voneinander unabhängige Texte erkennbar: Erstens, ein Zitat aus dem brockenhaft überlieferten Werk Aigeus von Euripides, das wie eine moralische Sentenz wirkt; zweitens, ein Spruch über eine maßvolle Diät, der vielfach Sokrates zugeschrieben wird; und drittens, ein (abgehacktes) Zitat aus einem Werk der Neuen Komödie, in dem lauter Laster genannt werden.

Der erste Text umfasst Zeilen 1–2 und stammt aus dem verschollenen Aigeus des Euripides. Er lautet in Übersetzung: „Es kommt vor, dass derjenige, der Unglück erlitt, ἀρετή (Tugend, Trefflichkeit, …) vor dem Tode zeigt“. Wer aber genau hinschaut, erkennt, dass der Wortlaut an der Stelle weitergeht, und zwar bis in Z. 3 hinein: καὶ πάντα ῥαίδια / γίνεται, „und alles wird leicht“. In der Forschung herrscht aber Einigkeit darüber, dass dies ein Zusatz ist, der ursprünglich so bei Euripides nicht gestanden haben darf. In der aktuellen Ausgabe der Forscherin Francisca Pordomingo wird dieser Zusatz sogar weder mitgedruckt noch bei der Zeilenzählung berücksichtigt. Auf der anderen Seite könnte man darin eine sentenzhafte Abwandlung der euripideischen Quelle sehen, etwa in der Bedeutung, wer ἀρετή vor dem Tode zeigt, dem fällt das Sterben leichter, beziehungsweise (nach Viereck): „Auch wenn jemand gefehlt hat, so kann er doch durch einen edlen Tod den Beweis erbringen, dass er ein tüchtiger und guter Mensch war; dann findet man sich auch mit allem, was vorher Schlimmes geschehen ist, leicht ab und hält es für unwesentlich, d. h. es ist möglich, alle Fehler durch den Tod zu sühnen.“ (Diese Art von eher weitschweifiger Auslegung wird in der modernen Forschung jedoch vermieden.)

Der zweite Text ist ein vielfach überlieferter Spruch, der gleichzeitig eindeutig den Charakter eines philosophischen Dialogs hat. Er wird in der Überlieferung Sokrates vielfach zugeschrieben, wobei hier die Zuschreibung nicht explizit ist. Es geht hier um das angemessene Verhältnis zwischen Menschen und Essen. Hier spricht sich Sokrates für eine maßvolle Diät aus, die dem Leben förderlich ist, und rät von jener ab, „wie die meisten“ sie machen, die den Essgenuss gleichsam zum Ziel des Lebens erhebt: mit einem Wort, du sollst essen um des Lebens willen, und nicht leben um des Essens willen. Dies ist mit Abstand das älteste Zeugnis für den Spruch, der wohl ursprünglich einem Dialog über die richtige Lebensweise entstammt, wie etwa die in philosophischen Dialogen häufig vorkommenden Formulierungen καὶ γὰρ ὁρᾶις, „denn du siehst“ (was Pordomingo als „offensichtlich die Fortsetzung einer Folgerung des Philosophen“ beschreibt), und τά γε τοιαῦτα, „und solcherlei Dinge“, nahelegen. Der Text ist ein Beispiel für die literarische Gattung der „Logoi Socratici“, die Worte Sokrates‘, jenseits der bekannten Ausarbeitungen von Platon und Xenophon.

Zu guter Letzt haben wir es im dritten Text mit einem Ausschnitt aus einem Werk der Neuen Komödie zu tun (ab ~321 v. Chr.; der Hauptvertreter dieser Strömung ist Menander, wobei in diesem Fall keine sichere Zuschreibung zu einem Autor gemacht werden kann). Beide Verse sind unvollständig abgeschrieben: Der erste fängt nach dem Versanfang an, der zweite hört vor dem Versende auf. Menschliche Schwächen, die sich gerne zueinandergesellen, werden hier aufgelistet, genauer gesagt „Voreiligkeit, Fahrlässigkeit, Eitelkeit und tausende andere solche Dinge“.

Aber was sind Ostraka eigentlich? Ostraka sind beschriftete Tonscherben und waren lange in der Antike ein durchaus günstiges und reichlich vorhandenes Schreibmaterial für schnelle Notizen, Listen, Rechnungen und Schreibübungen: alles also, was heute auf einen Zettel kommt. Sobald die Liste oder Rechnung nicht länger aufbewahrt werden musste, konnte die Schrift abgeschabt oder -gewaschen und die Scherbe wiederverwendet werden, ein durchaus übliches Verfahren in einer Zeit, wo geeignete Schreibflächen keine Selbstverständlichkeit wie heute waren, wenngleich Tonscherben überall auf den Straßen von Städten und Dörfern gelegen haben dürften.

Gefunden wurde das Ostrakon in dem Ort Philadelphia, einer ptolemäischen Gründung, welche im oasenartigen Fayum-Becken südwestlich von Kairo gelegen ist. Es gehört zum „Kleitorios-Archiv“. Dieses Archiv besteht aus 68 Ostraka, die aus dem späten 3. bis frühen 2. Jhd. v. Chr. stammen. Außer insgesamt fünf Ostraka, welche einen literarischen oder pädagogischen Inhalt aufweisen, zu denen dieses zählt, und die irgendwie in einen Schulkontext einzuordnen sind, dokumentieren die Schriftfunde dieser Sammlung den Betrieb eines großen Anwesens. In denen geht es um Feldarbeiten, Lohnzahlungen, den Verkauf von Wein und Leinen, also um all die Geschäfte, die für ein solches Anwesen im wahrsten Sinne des Wortes das täglich Brot waren.

Um 1900 wurde in Philadelphia mehrmals ausgegraben, vor allem mit dem Ziel, Papyrusreste zu entdecken. Unter anderem ist der Ort für die sogenannten Zenon-Papyri bekannt, eine Sammlung von über 2.000 Dokumenten des Sekretärs Zenon von Kaunos (floruit um 240 v. Chr.). Ferner stammen die erst später entstandenen „Fayumporträts“, also Mumienporträts auf Holztafeln oder der Mumienumhüllung, aus dieser Gegend. Diese künstlerischen Kleinode entstanden aber erst in der römischen Kaiserzeit (1.–3. Jhd. n. Chr.).

Vier von den fünf erwähnten „pädagogischen“ oder „literarischen“ Ostraka im Kleitorios-Archiv sind sogenannte Anthologien. Aber was hat es damit auf sich? Das Abschreiben von als erbaulich erachteten Sentenzen war damals – und eigentlich auch durch die jüngere Geschichte, bis vor ein paar Jahrzehnten, hindurch – eine übliche Schulaufgabe. Das Ostrakon beinhaltet drei voneinander abhängige Verstexte, geschrieben jedoch ohne Verstrennung in einer damals üblichen scriptio continua (‚fortlaufendem Schreiben‘). Der Handschrift können wir entnehmen, dass hier kein Anfänger am Werk war: Diese wurde von Forschern als „fließend und regelmäßig mit einigen Kursivelementen“ (Cribriore) und womöglich als die eines γραμματικός, also eines Gelehrten oder, vielleicht, eines fortgeschrittenen Studenten (Pordomingo), bezeichnet worden.

Letztlich sollte durch eine Aufgabe wie diese das Schreiben geübt werden, dabei aber ging es auch darum, dass Werte wie Tugendhaftigkeit und Mäßigkeit – beim Essen sowie beim Handeln im Allgemeinen – hochgehalten und eingeschärft werden. Wieso die fünf genannten literarischen Ostraka der Sammlung ins sonst urkundliche Kleitorios-Archiv erst einbezogen wurden, muss letztlich ein Rätsel bleiben, eines der unzähligen kleinen Geheimnisse der Geschichte.

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