Bewirtschaftungsauftrag

O.Wilck. 1224 (P. 321)

Scan

Ägyptens Reichtum beruhte auf den jährlichen Überschwemmungen des Nil und seinem fruchtbaren Uferland; das Land galt daher als Kornkammer der Antike. Die alten Ägypter besaßen auch exzellente Bewässerungssysteme, wodurch sich ihr Wohlstand noch mehrte. Das folgende Fundstück gibt einen Einblick in die wirtschaftliche Organisation des Getreideanbaus.

Es handelt sich um eine beschriftete Tonscherbe, ein Ostrakon. Ostraka ermöglichen uns einen besseren Einblick in das Alltagsleben der in der Antike lebenden Bevölkerung. Sie dienten als eine Art „antikes Schmierpapier“ für Notizen, Schulaufgaben, Abrechnungen, Quittungen und kurze Briefe aller Art.

Dieses Ostrakon wurde am 30. März 1859 durch den deutschen Ägyptologen Heinrich Brugsch in Theben durch einen Ankauf erworben. Brugsch gilt als einer der größten Ägyptologen des 19. Jahrhunderts.

Beschrieben ist es mit zehn griechischen Zeilen. Der Text lässt sich auf den 17. Oktober 695 n. Chr. datieren. Er wurde also in der Zeit nach der arabischen Eroberung Ägyptens geschrieben, die im Jahr 641 n. Chr. erfolgte. Dabei wird im Text kein eindeutig bestimmbares Datum genannt. Vielmehr wird er auf den 19. Phaophi der 9. Indiktion datiert. Der Phaophi ist ein ägyptischer Monatsname. Der 19. Phaophi entspricht dem 17. Oktober. Die 9. Indiktion lässt sich leider nicht so einfach in unser heute verwendetes Datierungssystem umrechnen. Bei der Indiktion handelte es sich um ein im 4. Jh. n. Chr. entstandenes Datierungssystem zur Zählung der Steuerjahre. Es hatte einen Zyklus von 15 Jahren und wurden einfach durchnummeriert. Im hier behandelten Text wird das 9. Jahr dieses Zyklus angegeben. Für die Menschen der damaligen Zeit war klar, in welchem Jahr sie lebten. Für uns heute ist die Umrechnung ohne weitere datierende Anhaltspunkte schwierig – es gab zu viele 9. Indiktionen. Doch liefert uns der Text einen Hinweis. Der im Text erwähnte Pekysios ist auch aus anderen Texten bekannt, die sich eindeutiger datieren lassen. Somit können wir auch das Indiktionsjahr zuweisen und den Text in das Jahr 695 datieren.

Über Pekysios erfahren wir, dass er protokometes (eine Art Dorfoberhaupt) in der Festung von Memnoneia auf der westlichen Nilseite gegenüber Theben war. In dem Text auf dem Ostrakon beauftragt er in dieser Funktion einen Josephios, gepachtetes Land zu bewirtschaften, obwohl es ausgetrocknet und mit Schilf bewachsen ist. Grundlage für die Fruchtbarkeit des alten Ägyptens und seinen Status als Kornkammer der Antike waren die jährlichen Überschwemmungen des Nils, die den nährstoffreichen Schlamm brachten, der dem Boden seine Fruchtbarkeit verlieh. Doch erreichten die Überschwemmungen nicht immer alle Äcker oder fielen zu gering aus. Um diesen unkalkulierbaren Risiken zu begegnen, errichtete man ein umfangreiches Bewässerungssystem mit Kanälen, Schöpfrädern u.ä. Auf solche Bewässerungsvorrichtungen wird auch in unserem Text verwiesen. Josephios soll das Ackerland mittels einer Bewässerungsapparat bewirtschaften, der einem Pouar gehört. Mit gebotener Vorsicht wird man daraus schließen können, dass die Familie dieser Person von einiger Wichtigkeit in dieser Gegend gewesen war. Pouar wird am Ende des Textes erneut erwähnt, und zwar als Vater eines Paulos. Dieser war offenbar vor Pekysios protokometes und hatte wohl mit Josephios eine ähnliche Vereinbarung zur Bewirtschaftung des Ackerlands getroffen, auf die hier lediglich verwiesen wird.

Wir erfahren leider nicht, welche Pflanzen Josephios auf diesem Ackerland angebaut hat. Vermutlich war es aber Getreide. Immerhin wird im Text aber auch auf den Pachtvertrag verwiesen, durch den Josephios überhaupt dieses Ackerland bewirtschaften konnte. Durch ihn hat er sich verpflichtet, ein Drittel der Erträge als Pachtgebühr zu entrichten. Das sind 1/6 Goldnomisma, eine in jener Zeit verwendete Währung.

Dieser Text gibt nicht nur einen Einblick in das Leben der einfachen Leute und die Verwaltungsstrukturen des alten Ägypten, er ist vor allem ein maßgeblicher Beweis dafür, dass selbst unter der arabischen Herrschaft andere Sprachen wie das Griechische selbst in wichtigen Verwaltungsinstitutionen genutzt wurden und somit weiterhin Bestand hatten.

Veröffentlicht unter Stück des Monats |

Weisheit oder Macht – wer ist der moralische Sieger?

BKT IX 38 (P. 6934 V + P. 21137 V)

Scan

Die Auseinandersetzung zwischen Weisheit und Macht ist ein altes Thema. So wundert es auch nicht, dass von vielen berühmten weisen Frauen und Männern Geschichten überliefert sind, in denen von solchen Auseinandersetzungen berichtet wird. Ein fragmentarisch erhaltenes Beispiel findet sich auf einigen Papyrusfragmenten der Berliner Papyrussammlung.

Unter dem Namen des berühmten griechischen Arztes Hippokrates von Kos sind nicht nur medizinische Texte überliefert. In der Antike zirkulierten auch Briefe von ihm. Sie geben vor, Teile seiner Korrespondenz zu sein, und könnten somit wertvolle Einsichten in das Denken und Handeln des Hippokrates liefern. Doch aufgrund vieler Anachronismen müssen sie als fiktiv und daher als pseudo-hippokratisch bezeichnet werden. Diese Briefe behandeln das Thema der Auseinandersetzung zwischen Macht und Weisheit und zeigen die moralische Überlegenheit des idealen Arztes Hippokrates. Von vielen Briefen gibt es mehrere Versionen desselben Inhalts, aber unterschiedlicher Länge. Sie sind in mittelalterlichen Handschriften überliefert worden und haben sich in Abschriften auch auf einigen Papyri aus dem römerzeitlichen Ägypten erhalten.

Auf dem Verso (Rückseite) mehrerer Fragmente einer beidseitig beschriebenen Rolle haben sich Reste einiger dieser Briefe enthalten. Auf dem Rekto (Vorderseite) ist fragmentarisch eine Urkunde aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. erhalten. Daher sind die Briefe auf dem Verso etwas später zu datieren. Die Papyri stammen aus dem Faijum, einer Großoase südwestlich von Kairo, gehörten später zur Privatsammlung des Ägyptologen Heinrich Brugsch und kamen 1891 in die Berliner Papyrussammlung.

Im ersten Brief, der sich auf diesen Papyri erhalten hat, wird der Arzt vom persischen Statthalter Hystanes am Hellespont über das Angebot des Großkönigs Artaxerxes informiert, an dessen Hof in Persepolis zu kommen, um dort als Hofarzt zu arbeiten. Im sich direkt anschließenden Brief lehnt Hippokrates dieses Angebot mit der Begründung ab, Feinde der Griechen nicht zu heilen. Die restliche bekannte Korrespondenz zu diesem Thema wird auf diesem Papyrus nicht wiedergegeben. Stattdessen schließt sich ein Brief des Hippokrates an, der eine Antwort auf ein hier ebenfalls nicht wiedergegebenes Bittgesuch des Rats und des Volkes der griechischen Stadt Abdera in Thrakien enthält. Der Arzt sagt den Abderiten seine Hilfe zu, den vermeintlich am Wahnsinn erkrankten berühmten Philosophen Demokrit zu heilen. Dabei lehnt er in Anspielung auf die Korrespondenz mit den Persern jede Bezahlung ab.

Durch die Kombination dieser beiden Korrespondenzen wird das Thema der Auseinandersetzung zwischen Macht und Weisheit sehr deutlich. Während Hippokrates sich dem mächtigen persischen Großkönig verweigert, sagt er unmittelbar darauf der kleinen griechischen Stadt Abdera für den kranken weisen Mitbürger Demokrit seine Hilfe zu.

Die einzelnen Briefe wurden auf dem Papyrus durch paragraphoi (horizontale Striche am Zeilenanfang) getrennt. Eine solche paragraphos ist über der siebten Zeile noch deutlich sichtbar. Die Grußformel und der Briefanfang sind in ekthesis (hängender Einzug) geschrieben und so ebenfalls markiert worden.

Aufgrund der Wiederverwendung der Papyrusrolle und der Beschriftung des Versos mit diesem Text handelt es sich wohl um eine private Kopie dieser Briefe, die vermutlich unter dem genannten Thema der Auseinandersetzung zwischen Macht und Weisheit zusammengestellt wurden.

Veröffentlicht unter Stück des Monats |

11536

P. 8301

Veröffentlicht unter Allgemein |

Ausgerechnet erbaulich: eine Anthologie aus dem Kleitorios-Archiv

P. 12311

Scan

Zuerst eine Rechnung, dann geupcyclet als Schriftträger für eine Schreibübung: Dieses Ostrakon beinhaltet neben wenigen Spuren der verschollenen Rechnung eine „Anthologie“ mit drei kurzen Texten! Auf dem Ostrakon sind drei voneinander unabhängige Texte erkennbar: Erstens, ein Zitat aus dem brockenhaft überlieferten Werk Aigeus von Euripides, das wie eine moralische Sentenz wirkt; zweitens, ein Spruch über eine maßvolle Diät, der vielfach Sokrates zugeschrieben wird; und drittens, ein (abgehacktes) Zitat aus einem Werk der Neuen Komödie, in dem lauter Laster genannt werden.

Der erste Text umfasst Zeilen 1–2 und stammt aus dem verschollenen Aigeus des Euripides. Er lautet in Übersetzung: „Es kommt vor, dass derjenige, der Unglück erlitt, ἀρετή (Tugend, Trefflichkeit, …) vor dem Tode zeigt“. Wer aber genau hinschaut, erkennt, dass der Wortlaut an der Stelle weitergeht, und zwar bis in Z. 3 hinein: καὶ πάντα ῥαίδια / γίνεται, „und alles wird leicht“. In der Forschung herrscht aber Einigkeit darüber, dass dies ein Zusatz ist, der ursprünglich so bei Euripides nicht gestanden haben darf. In der aktuellen Ausgabe der Forscherin Francisca Pordomingo wird dieser Zusatz sogar weder mitgedruckt noch bei der Zeilenzählung berücksichtigt. Auf der anderen Seite könnte man darin eine sentenzhafte Abwandlung der euripideischen Quelle sehen, etwa in der Bedeutung, wer ἀρετή vor dem Tode zeigt, dem fällt das Sterben leichter, beziehungsweise (nach Viereck): „Auch wenn jemand gefehlt hat, so kann er doch durch einen edlen Tod den Beweis erbringen, dass er ein tüchtiger und guter Mensch war; dann findet man sich auch mit allem, was vorher Schlimmes geschehen ist, leicht ab und hält es für unwesentlich, d. h. es ist möglich, alle Fehler durch den Tod zu sühnen.“ (Diese Art von eher weitschweifiger Auslegung wird in der modernen Forschung jedoch vermieden.)

Der zweite Text ist ein vielfach überlieferter Spruch, der gleichzeitig eindeutig den Charakter eines philosophischen Dialogs hat. Er wird in der Überlieferung Sokrates vielfach zugeschrieben, wobei hier die Zuschreibung nicht explizit ist. Es geht hier um das angemessene Verhältnis zwischen Menschen und Essen. Hier spricht sich Sokrates für eine maßvolle Diät aus, die dem Leben förderlich ist, und rät von jener ab, „wie die meisten“ sie machen, die den Essgenuss gleichsam zum Ziel des Lebens erhebt: mit einem Wort, du sollst essen um des Lebens willen, und nicht leben um des Essens willen. Dies ist mit Abstand das älteste Zeugnis für den Spruch, der wohl ursprünglich einem Dialog über die richtige Lebensweise entstammt, wie etwa die in philosophischen Dialogen häufig vorkommenden Formulierungen καὶ γὰρ ὁρᾶις, „denn du siehst“ (was Pordomingo als „offensichtlich die Fortsetzung einer Folgerung des Philosophen“ beschreibt), und τά γε τοιαῦτα, „und solcherlei Dinge“, nahelegen. Der Text ist ein Beispiel für die literarische Gattung der „Logoi Socratici“, die Worte Sokrates‘, jenseits der bekannten Ausarbeitungen von Platon und Xenophon.

Zu guter Letzt haben wir es im dritten Text mit einem Ausschnitt aus einem Werk der Neuen Komödie zu tun (ab ~321 v. Chr.; der Hauptvertreter dieser Strömung ist Menander, wobei in diesem Fall keine sichere Zuschreibung zu einem Autor gemacht werden kann). Beide Verse sind unvollständig abgeschrieben: Der erste fängt nach dem Versanfang an, der zweite hört vor dem Versende auf. Menschliche Schwächen, die sich gerne zueinandergesellen, werden hier aufgelistet, genauer gesagt „Voreiligkeit, Fahrlässigkeit, Eitelkeit und tausende andere solche Dinge“.

Aber was sind Ostraka eigentlich? Ostraka sind beschriftete Tonscherben und waren lange in der Antike ein durchaus günstiges und reichlich vorhandenes Schreibmaterial für schnelle Notizen, Listen, Rechnungen und Schreibübungen: alles also, was heute auf einen Zettel kommt. Sobald die Liste oder Rechnung nicht länger aufbewahrt werden musste, konnte die Schrift abgeschabt oder -gewaschen und die Scherbe wiederverwendet werden, ein durchaus übliches Verfahren in einer Zeit, wo geeignete Schreibflächen keine Selbstverständlichkeit wie heute waren, wenngleich Tonscherben überall auf den Straßen von Städten und Dörfern gelegen haben dürften.

Gefunden wurde das Ostrakon in dem Ort Philadelphia, einer ptolemäischen Gründung, welche im oasenartigen Fayum-Becken südwestlich von Kairo gelegen ist. Es gehört zum „Kleitorios-Archiv“. Dieses Archiv besteht aus 68 Ostraka, die aus dem späten 3. bis frühen 2. Jhd. v. Chr. stammen. Außer insgesamt fünf Ostraka, welche einen literarischen oder pädagogischen Inhalt aufweisen, zu denen dieses zählt, und die irgendwie in einen Schulkontext einzuordnen sind, dokumentieren die Schriftfunde dieser Sammlung den Betrieb eines großen Anwesens. In denen geht es um Feldarbeiten, Lohnzahlungen, den Verkauf von Wein und Leinen, also um all die Geschäfte, die für ein solches Anwesen im wahrsten Sinne des Wortes das täglich Brot waren.

Um 1900 wurde in Philadelphia mehrmals ausgegraben, vor allem mit dem Ziel, Papyrusreste zu entdecken. Unter anderem ist der Ort für die sogenannten Zenon-Papyri bekannt, eine Sammlung von über 2.000 Dokumenten des Sekretärs Zenon von Kaunos (floruit um 240 v. Chr.). Ferner stammen die erst später entstandenen „Fayumporträts“, also Mumienporträts auf Holztafeln oder der Mumienumhüllung, aus dieser Gegend. Diese künstlerischen Kleinode entstanden aber erst in der römischen Kaiserzeit (1.–3. Jhd. n. Chr.).

Vier von den fünf erwähnten „pädagogischen“ oder „literarischen“ Ostraka im Kleitorios-Archiv sind sogenannte Anthologien. Aber was hat es damit auf sich? Das Abschreiben von als erbaulich erachteten Sentenzen war damals – und eigentlich auch durch die jüngere Geschichte, bis vor ein paar Jahrzehnten, hindurch – eine übliche Schulaufgabe. Das Ostrakon beinhaltet drei voneinander abhängige Verstexte, geschrieben jedoch ohne Verstrennung in einer damals üblichen scriptio continua (‚fortlaufendem Schreiben‘). Der Handschrift können wir entnehmen, dass hier kein Anfänger am Werk war: Diese wurde von Forschern als „fließend und regelmäßig mit einigen Kursivelementen“ (Cribriore) und womöglich als die eines γραμματικός, also eines Gelehrten oder, vielleicht, eines fortgeschrittenen Studenten (Pordomingo), bezeichnet worden.

Letztlich sollte durch eine Aufgabe wie diese das Schreiben geübt werden, dabei aber ging es auch darum, dass Werte wie Tugendhaftigkeit und Mäßigkeit – beim Essen sowie beim Handeln im Allgemeinen – hochgehalten und eingeschärft werden. Wieso die fünf genannten literarischen Ostraka der Sammlung ins sonst urkundliche Kleitorios-Archiv erst einbezogen wurden, muss letztlich ein Rätsel bleiben, eines der unzähligen kleinen Geheimnisse der Geschichte.

Veröffentlicht unter Stück des Monats |

Weihnachten mit Dornen? Zwei christliche Hymnen

P. 8687

Scan

Mit Sicherheit haben Sie schon einmal von Weihnachten gehört oder vielleicht sogar selbst gefeiert und dabei oftmals Weihnachtslieder gesungen. Aber was hat Weihnachten mit Dornen zu tun? Wie sah das vor 1400 Jahren aus? Gab es dieselben religiösen Traditionen und Inhalte wie jetzt und wie sahen religiöse Hymnen aus? Gibt es Parallelen zu heute und damals? Dies und vieles mehr kann man durch einen Papyrus mit zwei christlichen Hymnen herausfinden, der sich in der Berliner Papyrussammlung befindet.

Von dem ursprünglichen Papyrusblatt haben sich drei Fragmente erhalten, deren Position zueinander aufgrund des Textes gesichert ist. Der Papyrus ist an allen Seiten abgebrochen; es hat sich also keine vollständige Zeile erhalten. Er ist auf beiden Seiten auf Griechisch beschrieben worden, wobei auf der Rückseite (Verso) Reste von 12 Zeilen und auf der Vorderseite (Rekto) Reste von 9 Zeilen zu sehen sind. Der Text auf dem Rekto ist stark abgerieben und daher schlecht lesbar. Aufgrund der Schrift können beide Texte in das 7.–8. Jahrhundert datiert werden.

Auf dem Papyrus sind zwei Texte von unterschiedlichen Schreiber verfasst wurden. Sie beginnen auf dem Verso mit einer Weihnachtshymne, die in eher flüchtiger, nach rechts geneigter und unregelmäßiger Schrift geschrieben wurde. Ab der 11. Zeile derselben Seite beginnt eine Hymne an die Jungfrau Maria (Theotokion), die vermutlich auf der anderen Seite des Papyrus fortgesetzt wird. Sie wurde in einer deutlich anderen Schrift geschrieben, die sehr klein und sorgfältig ist. Auffällig ist, dass am Ende von Zeile 3 des Rektos die letzten Buchstaben nachgeschrieben wurden. Der Schreiber hat offensichtlich mit dem Rest der Tinte in seinem Kalamos (Schreibrohr) diese Buchstaben geschrieben, dann neue Tinte aufgenommen und dieselben Buchstaben noch einmal nachgezogen.

Bei dem ersten Text handelt es sich um eine Weihnachtshymne. Darauf deuten mehrere Punkte hin, die im Kontext der Geburt Jesu zu verorten sind. So wird die Jungfrau, d.i. Maria, genannt (Z. 8). Es wird zu einer Festfeier aufgefordert (Z. 10). Schließlich wird von einer Freude für den ganzen Erdkreis gesprochen (Z. 2) – vermutlich, da der Sohn Gottes nun auf Erden weilt. Es werden Episoden aus dem späteren Leben Jesu Christi erwähnt, z.B. sein vierzigtägiger Rückzug in die Wüste, wo er den Versuchungen des Teufels widerstand, die im Neuen Testament bei Lukas überliefert ist (4,2). Im Text und seinen Formulierungen lassen sich zudem mehrere Parallelen zu anderen biblischen Texten, vor allem zu den Psalmen, finden.

Spannend an diesem Text sind außerdem zahlreiche Markierungen, die sich über verschiedenen Buchstaben und Silben finden lassen. Diese könnten zunächst Akzente oder Lesezeichen sein. Vermutlich handelt es sich aber um eine musikalische Notation. Diese lässt sich auch daran erkennen, dass zahlreiche Konsonanten doppelt und die Wörter damit orthographisch falsch geschrieben wurden. Buchstabenverdoppelungen sind als musikalische Notationen typisch und zeigen den Rhythmus an, in dem der Text gesungen werden sollte. Normalerweise werden allerdings die Vokale verdoppelt, wie z.B. in einem anderen Berliner Papyrus mit christlichen Hymnen (P 16595) aus derselben Zeit. In diesem Text werden allerdings die Konsonanten verdoppelt. Dieses Phänomen ist sehr selten. Die musikalischen Notationen treten vor allem im ersten Text auf. Im zweiten Text begegnen sie seltener.

Die Jungfräulichkeit Marias, welche im Text (Z. 8) thematisiert wird, ist das Hauptthema des zweiten Textes. Hier wird der brennende Dornenbusch aus Buch (Exodus 3, 1–6) erwähnt, der in der frühchristlichen Kunst eine Metapher für die jungfräuliche Geburt Jesu war. Wie der Dornenbusch dem Feuer widerstand, so blieb Maria Jungfrau, obwohl sie Mutter geworden war. Auch in diesem Text gibt es zahlreiche Parallelen zu anderen biblischen Texten. Aufgrund seines fragmentarischen Erhaltungszustandes lässt sich der Inhalt des Textes in seinen Einzelheiten nicht mehr feststellen. Dennoch: Dieser Text ist noch einmal auf einem Papyrus in der Wiener Sammlung überliefert und kann daher mit Hilfe dieser Parallele gedeutet werden.

Beide Texte sind interessante Beispiele für die weite Verbreitung von Hymnen in der frühchristlichen Liturgie und die lange Kontinuität christlich-religiöser Traditionen bis in unsere heutige Zeit. Die musikalische Notation als Hinweise auf die Art und Weise, wie die Hymnen vorgetragen werden sollten, machen diesen Papyrus trotz seiner schlechten Erhaltung zu etwas Besonderem.

Veröffentlicht unter Stück des Monats |

Rätsel einer Multiplikationsübung

SB XXII 15312 (P. 11702)

Scan

Eine seltsame Zeichnung, Multiplikationen und ein Vogel! All das findet sich auf einem Berliner Papyrus und gibt Rätsel auf. Was bedeutet das? In welchem Zusammenhang stehen diese Elemente zueinander? Was hat ein Vogel mit Mathematik zu tun? Wer hat sie aufgeschrieben?

Der Papyrus wurde im mittelägyptischen Eschmunen, dem antiken Hermupolis, erworben und kam im Jahr 1908 in die Berliner Papyrussammlung. Es ist wahrscheinlich, dass er auch aus Hermupolis stammt. Er ist auf beiden Seiten beschrieben. Allerdings sind keine Ränder erhalten, so dass der ursprüngliche Umfang des Textes nicht mehr sicher feststellbar ist. Aufgrund des Textinhaltes lässt sich vermuten, dass sich nur ein kleiner Teil des Papyrus erhalten hat. Erhalten haben sich auf beiden Seiten des Papyrus jeweils zwei Kolumnen in griechischer Sprache und daneben Zeichnungen, deren Zusammenhang mit dem Text zunächst unklar bleibt. Der Text lässt sich aufgrund der Schrift in das 5. Jahrhundert datieren. Zum Ende des Textes wird die Schrift immer eiliger, nachlässiger und unordentlicher. Auch die Abstände nehmen zunehmend ab und wirken unstrukturierter.

Bei dem Text handelt es sich um eine Multiplikationsübung, die uns aus Sicht des Schreibers das Funktionieren des Dezimalsystems zeigt. Dafür bediente sich der Schreiber dieser Übung der sogenannten milesischen Zahlzeichen. Dabei werden für die einzelnen Ziffern nicht eigene Symbole verwendet, wie es heutzutage getan wird, sondern die Buchstaben des griechischen Alphabets und einige wenige Sonderzeichen. Die Zehner und Hunderter erhielten jeweils eigene Buchstaben und Zeichen. So stand α für 1, β für 2 und ξ für 60. Zahlen, die größer als 9, aber keine Zehner oder Hunderter waren, wurden an die der Zahl am nächsten, kleineren Zehner, Hunderter, etc. die entsprechend gewünschten Einer angehängt. Die 63 wurde also ξ für 60 und γ für 3 geschrieben.

Die Multiplikationsaufgabe gliedert sich in mehrere Serien und Abschnitte, die teilweise durch horizontale Striche, sogenannte Paragraphoi, am Zeilenanfang gekennzeichnet sind. Erhalten haben sich Reste der Serien mit dem Faktor 2, 3, 4 und 5. Es ist anzunehmen, dass die ursprüngliche Liste bis zum Faktor 10 reichte. Die Serien unterteilen sich wiederum in einzelne Abschnitte, in denen der erste Faktor mit den Zahlen 1 bis 10 und dem zehnfachen, hundertfachen und tausendfachen Wert dieser Zahl multipliziert wird. Ein Eintrag hat folgendes Schema: δ ϡ Γχ (in unseren Ziffern: 4 900 3600, d.h. 4 x 900 = 3600). Die oben schon erwähnte Eiligkeit des Schreibers wird dadurch bekräftigt, dass der vorletzte erhaltene Eintrag (ε ϡ Δφ [in unseren Ziffern: 5 900 4500, d.h. 5 x 900 = 4500]) erkennbar korrigiert wurde.

Rechts neben der zweiten Kolumne auf dem Verso (Rückseite) befindet sich eine 6 cm hohe und 2,3 cm breite Zeichnung, welche weder ein Bestandteil eines Zierstreifens, noch mathematisch zu erklären ist. Diese bestehen aus zwei parallelen, senkrechten Striche, die zu beiden Seiten durch unregelmäßig gezackte Linien flankiert werden. Der Raum zwischen den Zacken ist mit Punkten sowie halbkreisartigen Tupfern gefüllt. Diese Zeichnung könnte die kartographische Darstellung der ägyptischen Ostwüste sein. Die parallelen Linien würden dann ein Wadi bzw. einen Weg anzeigen, die Zacken flankierende Hügel oder Berge demonstrieren. Die Zeichnung muss nach der Multiplikationsliste angefertigt worden sein, da sie diese teilweise überschreibt und die verwendete Tusche einen anderen Eisengehalt aufweist.

Auf dem Rekto (Vorderseite) ist unten links neben der Multiplikationsübung die Zeichnung eines Vogels zu erkennen, welcher mit erhobenen Flügeln frontal abgebildet ist. Über dem Vogel befindet sich ein kleiner Strich – ein Indiz für eine weitere, vorangegangene Kolumne oder Zeichnung. Die Zeichnung ist unsorgfältig ausgeführt worden und erschwert somit durch die grobe Stilisierung eine zoologische Einordung. Möglicherweise handelt es sich eine Taube oder einen Adler. Gegen eine Deutung als Taube spricht, dass sie in der Antike eher selten frontal und mit ausgebreiteten Schwingen dargestellt wird. Adler hingegen werden häufig so gezeigt und symbolisieren etwas Göttliches, wie z.B. die Wiederauferstehung Jesu Christi. Ob sich der Zeichnende dieser Motivtradition bewusst war, lässt sich nur vermuten, aber er müsste ihrer Bedeutung eigentlich bekannt sein. Der Stern über dem Kopf des Vogels könnte laut dieser Theorie auch ein Christogramm sein. Die Zeichnung des Vogels und die Multiplikationsliste sind vermutlich zeitgleich oder zeitnah angefertigt worden, da es keine messbaren Unterschiede zwischen den verwendeten Tuschen gibt.

Der Zusammenhang zwischen den beiden Zeichnungen und der Multiplikationsübung bleibt also unklar. Mathematische und kartographische Fähigkeiten waren in der Antike in der Verwaltung und beim Militär gefragt. Somit könnte dieser Papyrus eine Erinnerungsnotiz oder sogar ein Schmierblatt eines Auszubildenden in diesen Bereichen gewesen sein. Letztlich bleiben diese Mutmaßungen aber unsicher und dieser Papyrus auch weiterhin ein Rätsel.

Veröffentlicht unter Stück des Monats |

Babylonische Planetenberechnung im griechisch-römischen Ägypten

P. 16511 V

Scan

Wer heute die genaue Position von Sternen oder Planeten am Himmel bestimmen will, öffnet seinen Computer und findet mit ein paar Klicks in moderner Software alles, was er sucht. In der Antike war das ein wenig schwieriger. Astronomische Daten wurden zunächst genutzt um das Schicksal von Königen und Reichen zu bestimmen, später auch für die Erstellung von Horoskopen für Einzelpersonen. Auch in die Berliner Papyrussammlung sind mehrere Horoskope erhalten (siehe z.B. das älteste erhaltene, griechische Horoskop auf Papyrus).

Der Philosoph Sextus Empiricus (2. Jh. n. Chr.) hat in seinem Werk Πρὸς ἀστρολόγους „Gegen die Astrologen“ (26-28) beschrieben, wie die Babylonier die Beobachtung der Planetenpositionen bei der Geburt eines Kindes durchführten. Ein Astronom saß auf einer Bergkuppe, während ein Assistent neben der Frau in den Wehen saß. Wenn die Entbindung stattfand, läutete der Assistent einen Gong und der Astronom notierte sofort alle relevanten Beobachtungsdaten. Dies ist eine recht fantasievolle Geschichte, welche jedoch nicht der Realität entspricht. Beobachtungen waren oft nicht möglich: nicht alle Planeten sind immer sichtbar. Deswegen verwendete man Algorithmen, um astronomische Tabellen zu erstellen. Die Positionen in den Horoskopen wurden dann anhand der Tabellen berechnet.

Auf dem hier vorgestellten Objekt, einem Papyrus aus Oxyrhynchus im griechisch-römischen Ägypten, findet sich ein Teil einer solchen Tabelle. Das Fragment besteht aus fünf Spalten mit schwarzen Linien und ist in einer kleinen, schnellen, kursiven dokumentarischen Schrift aus dem 1. Jh. n. Chr. geschrieben. Die Tabelle ist an der linken, unteren und rechten Seite abgebrochen; der obere Teil ist jedoch vollständig. Ein zweites Fragment der gleichen Tabelle, das aus Teilen der Spalten 3, 4 und 5 besteht, befindet sich in Oxford. Auf der anderen Seite, der Vorderseite des Papyrus, befindet sich ein Gerichtsverfahren. Nachdem dieses nicht mehr relevant war, wurde auf der Rückseite diese astronomische Tabelle geschrieben, bis auch sie nicht mehr notwendig war und weggeworfen wurde. Wie alle Papyri aus Oxyrhynchus, stammt der Papyrus von einer Mülldeponie.

Die dritte Spalte besteht aus Jahreszahlen, die durch das griechische L-förmige ἔτος („Jahr“)-Zeichen zusammen mit einer Zahl dargestellt werden. Die Jahreszahlen erhöhen sich in der Regel um 1, manchmal aber auch um 2. So finden wir in den ersten vier Zeilen die Jahre ιϛ, ιη, ιθ, κ: 16, 18, 19, 20. Dies sind Regierungsjahre römischer Kaiser, und in Zeile 7 wird auch klar, welcher Kaiser. Hier steht in Spalte 3 keine Jahreszahl, sondern nur Γαίου, und in Spalte 2 noch zur Verdeutlichung κγ το κ(αὶ) α, was zusammen „23, auch 1 von Gaius“ bedeutet. Es geht hier um das Jahr 23 des Kaisers Tiberius, 37 n. Chr., was auch das Jahr 1 des Kaisers Gaius (Caligula) ist. Der Rest der zweiten Spalte besteht nur aus horizontalen Strichen und soll offenbar die Spalte 1 von den anderen Spalten trennen.

Spalte 4 enthält ägyptische Monatsnamen in griechischer Schrift, mit vollständigen Schreibungen für kurze Namen wie Θωύθ „Thouth“ (Zeile 2), Ἁθύρ „Hathyr“ (Zeile 4) und Τῦβι „Tybi“ (Zeile 5); sowie abgekürzten für längere Namen wie Φαῶφ „Phaoph“ für Φαῶφι „Phaophi“ (Zeile 3), und Φαρμο „Pharmo“ für Φαρμοῦθι „Pharmouthi“ (Zeile 8). Das ο von Φαρμο ist dabei hochgestellt, um zu betonen, dass es sich um eine Abkürzung handelt.

In Spalte 5 steht immer erst eine Zahl zwischen 0 und 29, dann noch eine oder oft auch mehrere Zahlen. Diese geben die Tage des Monats an, mit anschließenden Brüchen dieser Tage im babylonischen Sexagesimalsystem. Dies ist eindeutig die Folge einer Berechnung und zeigt bereits, dass wir es nicht mit einer rein ägyptischen Tabelle zu tun haben. Ungewöhnlich ist auch die Verwendung des Tages 0, anstelle des Tages 30 des Vormonats, in den Zeilen 5 und 6.

Zusammengefasst enthält jede Zeile einen Zeitpunkt, mit Zeitsprüngen von jeweils circa 13 Monaten. Diese Zeitspanne ist charakteristisch für den Planeten Jupiter, und die Analyse anhand moderner Daten zeigt, dass es sich um Zeitpunkte handelt, in denen sich Jupiter an der so genannten ersten Station befindet: dem Ort, an dem die Bewegung des Planeten rückläufig wird. Der Buchstabe α über der Tabelle könnte für die Zahl 1 stehen und sich somit darauf beziehen, diese Interpretation ist jedoch unsicher. Interessanterweise war für astronomische Berechnungen noch lange Zeit der unreformierte ägyptische Kalender in Gebrauch, d. h. ohne Schalttage, da es einfacher war mit diesem Kalender zu rechnen. Im täglichen Leben war der reformierte ägyptische Kalender bereits seit anderthalb Jahrhunderten in Gebrauch, als dieser Papyrus verfasst wurde.

Die meiste Tabellen dieser Art enthielten neben den Zeitpunkten auch die entsprechenden Positionen der Planeten, ausgedrückt im zodiakalen Koordinatensystem. Diese waren vermutlich in Spalte 6 und den folgenden enthalten. Was stand aber in der ersten Spalte? Es sind deutlich Zahlen, aber da der Anfang abgebrochen ist und es sich hauptsächlich um Bruchzahlen handelt, ist es schwierig, daraus eine Schlussfolgerung zu ziehen. Es könnte sich um Himmelspositionen eines anderen Jupiterphänomens handeln, oder vielleicht um Positionen desselben Phänomens, aber vor dem Jahr 16 des Tiberius. Dass die Tabelle willkürlich mit dem Jahr 16 beginnt, ohne den Namen Tiberius zu erwähnen, spricht für die Hypothese, dass vielleicht etwas anderes vorausging.

Es war erstaunlich, mit babylonischen Methoden erstellte Tabellen in Ägypten zu finden. Die Übertragung der babylonischen Algorithmen auf Ägypten ist nicht trivial: Die komplizierten babylonischen Algorithmen mussten an den ägyptischen Kalender angepasst werden, und für die Himmelspositionen mussten aufgrund der veränderten geographischen Lage lokale Beobachtungen herangezogen werden. Dies zeigt, dass es in Ägypten fortgeschrittene Kenntnisse von babylonischen Algorithmen gab. Die Tabelle ist außerdem erstaunlich genau: das Datum weicht nie mehr als 2 Tage vom Phänomen ab, während man Jupiter bei Beobachtung bis ungefähr 10 Tage vor oder nach dem berechneten Zeitpunkt sehen kann.

Veröffentlicht unter Stück des Monats |

18002

P. 12614 Text 2

Veröffentlicht unter Allgemein |

18001

P. 12614 Text 1

Veröffentlicht unter Allgemein |

18000

P. 3211 R

Veröffentlicht unter Allgemein |