Männer sind Schweine (?)

BKT IX 90 (P. 11754 + P. 21187)

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„Männer sind Schweine“ ist ein Satz, den Frauen oft äußern, wenn sie von Männern ungerecht behandelt wurden, sei es durch Untreue, Egoismus, Rücksichtslosigkeit oder missbräuchliches Verhalten. Dieses Thema ist sehr alt und wurde auch schon in der Antike thematisiert. Eine literarische Verarbeitung findet sich auf diesen Papyrus.

Die Fragmente dieses Papyrus wurden bei den Ausgrabungen von Otto Rubensohn in Eschmunen, dem antiken Hermupolis in Mittelägypten, gefunden. Sie sind auf beiden Seiten beschrieben und stammen von einem Blatt eines Papyrus-Kodexes, der vermutlich ebenfalls in Hermupolis verfasst wurde. Die Schrift ist eine relativ große, nach rechts geneigter Buchschrift, die sich paläographisch in das 6. Jahrhundert n. Chr. datieren lässt. Ein unterer Rand von etwa 5 cm Breite ist auf beiden Seiten erhalten. Obwohl alle anderen Seiten des Blattes nicht erhalten sind, lässt sich der Umfang des ursprünglichen Blattes rekonstruieren. Auf jeder Seite waren wohl 34 bis 35 Zeilen.

Die Tinte ist bräunlich, Apostrophe wurde gelegentlich gesetzt und Akzente etc. fehlen. Interessant ist allerdings, dass ein weiterer Schreiber zunächst in brauner, später in schwarzer Tinte schräge Striche in den oberen Bereich der Zeilen gesetzt hat. Sie zeigen an, wo ein Wort endet bzw. ein neues beginnt. Diese Information war sehr hilfreich, da damals nicht alle Wörter wie heute voneinander getrennt geschrieben wurden. Stattdessen schrieb man alle Buchstaben ohne Leerzeichen hintereinander. Satzzeichen wurden ebenfalls nicht gesetzt. Somit sind diese schrägen Striche wohl als Lesehilfe zu betrachten.

Der Text enthält einen kleinen Ausschnitt aus Homers „Odyssee“. Homer war und ist der bekannteste Dichter der abendländischen Kultur. Er schrieb die beiden Epen, die heute unter den Namen „Ilias“ und „Odyssee“ bekannt sind. Diese Werke wurden vermutlich um die Wende vom 8. zum 7. Jahrhundert v. Chr., mit dem Übergang von der mykenischen Kultur zur klassischen griechischen Zeit, niedergeschrieben. Schon in der Antike war er der angesehenste Dichter Griechenlands. Seine Werke wurden immer wieder gelesen, abgeschrieben und studiert. Sie dienten und dienen bis heute als Inspiration und Grundlage für epische Abenteuer, Fantasy oder dramatische Medien.

Die Odyssee handelt von den abenteuerlichen Irrfahrten des Königs von Ithaka, Odysseus, der auf dem Weg nach Hause zurückkehrt vom zehnjährigen Trojanischen Krieges. Der 10. Gesang, zu dem der Text auf dem fragmentierten Papyrusblatt gehört, handelt vom Scheitern des Odysseus und seiner Mannschaft, ihre Heimat zu erreichen und nahezu alle seiner Schiffe werden durch die Laistrygonen zerstört. Schließlich landen sie auf Aiaia, der Insel der Zauberin Kirke. Die Erlebnisse auf der Insel werden im Text des Papyrus-Blattes beschrieben.

Um die Insel zu erkunden, durchstreift eine Gruppe von Odysseus‘ Gefährten die Umgebung. Bald am Palast der Zauberin angekommen, werden sie von zahmen Wölfen und Löwen überrascht. Kirke lockt und verführt ihre Gäste mit einem prächtigen Mahl. Sie verfeinerte jedoch die Speisen und Getränke mit einem Gift und mit einem Schwung ihrer Rute verwandelte sie die Männer in Schweine. Nur der argwöhnische Eurylochos ist nicht in die Falle getappt. Er kehrt schnell zum Schiff zurück, um Odysseus über die Geschehnisse zu berichten. Trotz des Widerstands von Eurylochos macht sich Odysseus sofort auf, um seine Gefährten zu retten. Auf dem Weg trifft er den Gott Hermes, der ihm seine Hilfe anbietet.

An dieser Stelle bricht der Text des Papyrus ab, doch wir kennen den weiteren Verlauf der Geschichte. Odysseus zwingt Kirke, die Verwandlung seiner Männer in Schweine rückgängig zu machen, wodurch er sie rettet.

Kehren wir zur Hauptfrage zurück: ob Männer Schweine sind oder nicht. Es ist eine umgangssprachliche Redewendung und eine Frage der Perspektive. Wichtig ist, sprechen wir über alle Männer oder über eine bestimmte Kategorie von Männern? Und vielleicht nur über diejenigen, die sich in dem einen oder anderen Fall wie Schweine verhalten. Außerdem können Frauen auch nicht anders sein und diese Frage lässt sich auch auf sie anwenden.

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Guter Zauber – böser Wolf?

BKT IX 16 (P. 21260 V)

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Der Wolf wird in Geschichten des europäischen Raums oft als räuberischer Bösewicht dargestellt. So betrügt er in „Rotkäppchen“, einer Fabel der Gebrüder Grimm, ein unschuldiges junges Mädchen, um sie gierig zu verspeisen. Doch war der Wolf schon immer ein kaltblütiger Schurke oder war er in antiker Literatur sogar ein heilbringender Held?

Der Papyrus wurde vermutlich im Faijûm, einer Großoase südwestlich von Kairo, angekauft und stammt aus dem 3. Jahrhundert nach Christus. Das Stück wurde in Griechisch verfasst und ist auf beiden Seiten beschrieben. Auf der Rekto-Seite befindet sich eine Abrechnung, die Verso-Seite offenbart jedoch einen weitaus interessanteren Inhalt: Es handelt sich um ein magisches Formular zur Vorbereitung eines Amulettes.

Die Requisiten des magischen Verfahrens werden im Laufe der sieben Zeilen aufgezählt. Man solle Lamellen nehmen, etwas mit Leinen umwickeln, eine unbekannte Zutat eines schwarzen Wolfes verwenden und schließlich etwas in einem kleinen Behältnis verwahren. Dann werde das Amulett dem Leser oft dienen. Da das Stück nur ein Fragment ist und zudem Löcher aufweist, fehlen die Zusammenhänge zwischen den Bestandteilen. Trotzdem lässt sich einiges über den überlieferten Text sagen.

Amulette kamen seit der prädynastischen Zeit des Alten Ägyptens vor und ihre Verwendung hielt von der pharaonischen Periode bis hin zu den griechisch-römischen und den christlichen Perioden an. Sie schützen den Träger vor dem Bösen, schenken ihm Gesundheit, treffen Weissagungen und begleiten Verstorbene im Jenseits. Das Umwickeln eines Amulettes mit Leinen ist dabei nicht ungewöhnlich, denn Leinen und Flachs wurden religiös als rein empfunden. Man sagte, sie stehen in Verbundenheit mit Himmel und Sonne. Deshalb wurden Leinen neben ihrer vielseitigen Verwendung als zum Beispiel Verbands- und Schreibmaterial, Kleidung oder Lampendochte auch besonders häufig im Totenkult genutzt. So waren unter anderem Mumifizierungsmaterial, Totenbeigaben oder Opfer und Kleidung der Götter aus Leinen gefertigt.

Was an der Zauberanleitung aber überaus ungewöhnlich ist, ist die Erwähnung eines schwarzen Wolfes, denn in keinem anderen griechisch-magischen Papyrus wird von einem schwarzen Wolf berichtet. Nur von einem weißen Wolf wird in einem griechisch-magischen christlichen Papyrus gesprochen, der heute in der Kölner Papyrussammlung aufbewahrt wird. Hier erscheint der weiße Wolf und heilt Zittern und Fieber von Joseph, da Joseph sein Schutzamulett trägt.

Dem Wolf wurden in der griechischen Welt vielerlei positive medizinische Effekte zugeschrieben. So heile die sonnengetrocknete Leber eines mit Feigen gemästeten Wolfes in der Verbindung mit Lorbeeren, Pfefferkörnern, Honig und Süßwein Husten, Schwindsucht, Magenschmerzen und Blähungen. Das Binden eines gesalzenen rechten Wolfsauges auf den Leib helfe gegen Wechselfieber. Das Fett des Wolfes helfe gegen Verhärtungen, zum Beispiel der Gebärmutter. Wird Wolfshaut in Alaun gegerbt und sechs Tage lang auf den betroffenen Bereich hinaufgegeben, helfe sie zudem gegen Lendenschmerzen. Sogar dem Kot des Wolfes wurde eine medizinische Wirkung zugeteilt. Wird dieser mit attischem Honig versetzt und zu Salbe weiterverarbeitet, heile er, wenn man ihn aufs Auge legt, den grauen Star.

Wie schon am Papyrus zu erkennen ist, wurden Wölfen auch magische Fähigkeiten beigemessen. Eine Wolfsschnauze am Hoftor oder ein Wolfsfellriemen am Handgelenk schütze vor Giftmord, ein angebundener Wolfsschwanz an einer Futtergrippe verhindere, dass das Tier Rinderknochen verschlucke und binde man ein Wolfszahn an ein Pferd werde es unermüdlich. Beiße ein Wolf ein Pferd, renne es zudem stärker und schneller, ein von einem Wolf gerissenes Schaf schmecke besser und obendrein erhalte die von einem Wolf getötete Beute Heilkräfte.

Trotz der vielen positiven Assoziationen des Wolfes zur Zeit der alten Griechen war dieser gleichzeitig schon damals als böses Raubtier bekannt. Er galt auch als Tier des Unglücks, so kündige sein Aufheulen drei Tage Unwetter an. Besonders aber die Begegnung mit einem Wolf mit Beute im Mund, der einem von rechts nach links den Weg absperrt, galt als beunruhigendes Omen.

Schlussendlich bleibt die genaue Anleitung für diesen Zauber und sein Nutzen für den Leser ein Geheimnis. Trotzdem wird der Betrachter somit umso mehr herausgefordert, sich mit den Rätseln des Stücks auseinanderzusetzen, sei es die vielfältige Verwendung der Leinen oder die ambivalente Rolle des Wolfes in der antiken Welt. Dieser Papyrus beweist, dass Lückenhaftigkeit eine Überlieferung nicht weniger spannend macht.

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Clevere Geschäfte?

BGU III 726 (P. 7788)

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Wer zum richtigen Zeitpunkt kauf, konnte schon immer ein gutes Geschäft machen. Das ist heute so und war auch schon so vor 1500 Jahren. So scheint es auch bei einem Geschäft zu sein, in das uns der Text auf dem hier vorgestellte Papyrus einige Einblicke erlaubt.

Dieser Papyrus wurde von dem Afrikaforscher und Botaniker Georg Schweinfurth im Jahr 1886 während seines Surveys in den Ruinen der alten Arsinoiton Polis gefunden, wie das heutige Medinet el-Fayum in der Spätantike und byzantinischen Zeit hieß. Es war und ist der Hauptort des Faijûm, einer Großoase südwestlich von Kairo. Noch in demselben Jahr gab Schweinfurth dieses Papyrusfragment zusammen mit vielen anderen an die Berliner Papyrussammlung, wo es dann bald auch wissenschaftlich ausgewertet wurde.

Doch Schweinfurth Schweinfurth war nicht der einzige, der in jener Zeit Artefakte in diesen Ruinen auflas. So überrascht es dann auch nicht, dass in der Wiener Papyrussammlung ein Papyrus zu finden ist, der direkt an das Berliner Fragment anpasst. Über das Wiener Fragment ist lediglich bekannt, dass es in späten 1870er und frühen 1880er Jahren im Faijûm gefunden wurde. Eine Verbindung zu Georg Schweinfurth gibt es nicht. Doch lässt sich aus der Zusammengehörigkeit mit dem Berliner Fragment schlussfolgern, dass es ebenfalls aus den Ruinen von Arsinoiton Polis stammen muss.

Beide Fragmente zusammen enthalten den oberen und mittleren Teil einer Urkunde, in der ein Gelddarlehen vereinbart wird. Der untere Teil mit den Unterschriften der beiden Vertragsparteien dieses Darlehens und des Notars fehlen. Beide Fragmente lassen sich mit einem geringen Abstand aneinanderfügen, so dass sie sich in Zeile 12 des Textes überschneiden. Der Buchstabe Kappa des letzten Wortes in der ersten Zeile des Berliner Fragments hat sein oberstes Ende auf dem unteren Rand des Wiener Fragments. Au der Rückseite beider Fragmente sind besonders gut vertikale Linien zu erkennen. Sie zeigen, dass das Dokument drei Mal horizontal gefaltet war. Eine vertikale Faltung ist an den Stellen anzunehmen, an denen die Fragmente auseinandergebrochen waren.

Das Dokument wurde am 19. Oktober 481 n. Chr. angefertigt, wie aus der Datierungsformel in der ersten zwei Zeilen des Wiener Fragmentes hervorgeht. Hier wird neben der in byzantinischer Zeit üblichen Datierung nach Steuerjahren auch der Konsul des laufenden Jahres angegeben. Beides lässt sich in unseren heute verwendeten Kalender umrechnen.

In dieser Urkunde vereinbaren Aurelius Paomios aus dem Ort Philoxenu in der Herkleidu Meris im Osten des Faijûm und Aurelius Olympion aus Arsinoiton Polis, dass Paomios von Olympion Geld im Wert von einem Goldsolidus minus vier Keratia bekommt und ihm dafür nach sieben Monaten Flachs im Wert des geliehenen Geldes und Zinsen in Form von drei Artaben (etwa 90 kg oder eine Eselladung) Weizen zurückgeben soll. Die Rückzahlung soll im Monat Pauni am Ende der Erntezeit stattfinden. Aus dem Text geht außerdem hervor, dass beide Personen offenbar schon einmal eine ähnliche Vereinbarung in der Vergangenheit getroffen hatten. Vielleicht sind Paomios und Olympion sogar regelmäßige Geschäftspartner.

In diesem Geschäftsverhältnis, in dem der Verkauf von Naturalien und ein Geldarlehen kombiniert werden, profitierten offenbar beide Parteien. Dem Bauern diente das Geld wohl zum Lebensunterhalt, bis er nach dem Verkauf seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse wieder Einnahmen erzielen konnte. Für den Geldgeber war offenbar der Flachs von Interesse. Zudem schützte ihn eine Klausel des Vertrags gegen Inflation. Die Menge des Flachses sollte nämlich zu dem Preis errechnet werden, der zum Zeitpunkt der Rückzahlung für Flachs den aktuellen Marktpreis darstellte. Es ist anzunehmen, dass die Preise für Naturalien während der Ernte deutlich niedriger waren als ein halbes Jahr vorher oder später. Darüber hinaus sicherte sich Olympion frühzeitig das Produkt, dass er entweder selbst brauchte oder mit dem er weitere Geschäfte machen wollte. Schließlich konnte er bei der Rückzahlung eines Gelddarlehens in Naturalien deutlich höhere Zinsen verlangen, als wenn er das geliehene Geld als Geld zurückerhielt. Bekannt sind Zinsen von bis zu 50 %. Erst im 6. Jahrhundert wurden sie auf 12,5 % beschränkt. Bei einer Rückzahlung in Geld konnten lediglich 4 % verlangt werden. Offenbar ein gutes Geschäft.

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Fake oder Vermächtnis?

P. 14283

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Gewöhnliche Menschen lassen ihr Testament von einem Notar verfassen. Antike Dichter schrieben ihres natürlich selbst, und zwar in Versform. Handelt es sich hier um ein solches Testament des namentlich genannten, berühmten Epigrammatikers Poseidippos von Pella oder hat sich jemand unter dem Deckmantel eines bekannten Namens selbst als Dichter ausprobiert?

Das Gedicht beginnt mit einer Anrufung an die Musen, die Schutzgöttinnen der Künste. Mit Beinamen versehen und mit Bezug auf frühere Werke des Dichters werden sie aufgefordert, zusammen mit Poseidippos das ‚verhasste Alter‘ zu besingen. Die Bitte um Hilfe beim Verfassen eines Gedichts ist eine gängige Praxis in der Antike und beruht auf der Auffassung, dass die Musen den Dichtenden inspirieren und anweisen.

Dafür sollen sie von ihrer Aussichtsplattform auf dem Helikon hinuntersteigen und in das ‚Pipleische Theben‘ kommen, wo sich der Schreiber allem Anschein nach befindet. Diese Angabe wirft allerdings ein Rätsel auf, denn es gibt keinen geografisch genau bestimmbaren Ort mit diesem Namen. Ein Theben in Griechenland und ein Theben in Ägypten sind bekannt. Keines von beiden hat aber direkt etwas mit dem Beiwort Pipleia oder Pimpleia (wie es häufiger lautet) zu tun. In einigen Varianten ist Pimpleia die Mutter der Musen und in anderen deren Geburtsort. Hier kann man nur vermuten. Deutlich wird jedenfalls, dass der Dichter eine metaphorische Ebene gewählt hat, um seinen Aufenthaltsort zu beschreiben.

Aus den folgenden Versen lassen sich schwer genaue Zusammenhänge entnehmen, denn sie sind am Ende der ersten Kolumne ganz am unteren Rand der Tafel platziert und sehr abgerieben. Sicher lässt sich aber erneut der Name Poseidippos lesen und eine Anrufung an den Gott der Dichtkunst Apollon erschließen. In der zweiten Kolumne ist von einem Orakel die Rede, welches der Gott zugunsten eines anderen Dichters aus Paros schon einmal gegeben und ihm somit zur Ehre verholfen hat. Ein Dichter, der für diesen Vergleich in Frage käme, ist Archilochos von Paros, dem überlieferterweise nach dem Tod ein Ehrentempel auf Geheiß des Gottes Apollon errichtet worden war. Etwas Ähnliches erbittet sich auch Poseidippos und möchte über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus verehrt werden. Er hat auch eine genaue Vorstellung davon wie das passieren soll, nämlich durch eine Statue, die ihn mit einer Buchrolle in den Händen darstellt und auf einem menschenreichen Marktplatz aufgestellt ist. Solch eine Statue konnte in der Antike zu Lebzeiten oder postum als besondere Auszeichnung gewährt werden.

Er führt den Dichtervergleich nun weiter aus und spricht von der ‚Nachtigall aus Paros‘, die stets Leid und Tränen verursacht. Die Nachtigall ist ein mit Poeten häufig assoziiertes Tier, denn sie singt ihre Lieder so wie der Dichter seine Gedichte. Damit meint er wohl wieder Archilochos, der für seine Spottelegien und gnadenlosen Dichtungen bekannt war. Im Gegensatz dazu bringen Poseidippos‘ Werke die Zuhörer nicht zum Weinen. Was genau sie allerdings bringen sollen, ist in den verwischten Versen am unteren Rand der Wachstafel verloren gegangen.

Das Gedicht endet mit einer gebetsartigen Formel, in der der Verfasser den Wunsch äußert, im Alter als Wohltäter für die Gesellschaft seinen Weg ins Jenseits zu finden, aufrecht gehend und verständlich sprechend, d. h. gesund hinsichtlich seines Körpers und seines Geistes, und seinen Kindern Haus und Besitz zu hinterlassen. Ein glücklicher Abschied aus dem Leben also. Wie passt das mit dem zuvor erwähnten ‚verhassten Alter‘ zusammen? Möglicherweise ist es gar nicht wörtlich, sondern als Überbegriff für eine thematische Sammlung von Gedichten, zu denen auch dieses hier zählt und eine Art Einleitung bildet, eben über das Alter in unterschiedlichen Facetten zu verstehen.

Die Holztafel stammt aus Theben-West (Ägypten) und ist auf das 1. nachchristliche Jahrhundert zu datieren, wobei der Inhalt, also das eingeritzte Gedicht, eher zu sozialpolitischen Verhältnissen aus dem 4. oder 3. vorchristlichen Jahrhundert passt. In dieser Zeit lebte auch der anfangs erwähnte Epigrammatiker Poseidippos von Pella, der nach einem Philosophie-Studium in Athen einige Zeit auf Samos lebte und dann nach Alexandria an den ptolemäischen Königshof ging. Das bekräftigt die Annahme, dass er der tatsächliche Autor des Gedichtes ist.

Wahrscheinlich wurde das Originalgedicht als Schreibvorlage verwendet oder aus dem Gedächtnis aufgeschrieben und nicht als Nachahmung aus dem Stegreif komponiert. Das erklärt unter anderem die zahlreichen Schreibfehler, die sich in den Text eingeschlichen haben und teilweise vom Schreiber selbst ausgebessert oder auch verschlimmbessert worden sind. Er verwechselt oft lange mit kurzen Vokalen, kann die unterschiedlichen i/e-Laute, die in klassischer Aussprache noch deutlich getrennt wurden, nicht recht voneinander unterscheiden und ist sich bei Kasus- und Personalendungen unsicher. Griechisch war wahrscheinlich nicht seine Muttersprache.

Dem gegenüber steht die wohlgeformte Gestalt der Buchstaben, die auf eine geübte Schreiberhand zurückzuführen ist. Der Duktus wechselt jedoch in der Mitte der zweiten Kolumne der Vorderseite und die Schrift geht in eine flüchtigere Kursive über. Die unausgeglichene Unterteilung der vorderen Seite fällt auch ins Auge: In der ersten Spalte ließ sich der Schreiber viel Platz für die Verse und nahm somit 2/3 der Schreibfläche ein, für die zweite Spalte blieb nur das übrige Drittel. Das nötigte ihn dazu, die Buchstaben kompakter zu halten und die Wörter gelegentlich auch über das Wachs hinaus, auf dem hölzernen Rand fortzuführen. Auf der Rückseite wäre noch genug Raum gewesen, dort stehen aber lediglich die letzten vier Verse.

Das Schreibmedium Wachstafel ist vor allem aus dem schulischen Kontext bekannt. Es eignet sich hervorragend für Notizen und Übungen, da man das beschriebene Wachs mithilfe eines Metallgriffels, Stilus genannt, leicht wieder glattstreichen und dann neu beschreiben kann. So ist es doch gewissermaßen ironisch, dass das Gedicht, was nur durch diese Wachstafel überliefert ist, als eine Art Vermächtnis verstanden werden kann.

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Ist er der Richtige?

SB XVIII 13250 = BKT IX 173 (P. 21269 R)

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Zwei junge Menschen, die Zukunft noch vor sich – doch was wird sie bringen? Lohnt es sich, den Weg dauerhaft gemeinsam zu gehen? Weil man sich ja nicht so sicher sein kann, was alles noch kommt, werden hier und da auch heutzutage noch kleine Entscheidungshelfer, wie z. B. Sternzeichen verwendet, um sich ein Urteil über die Überlebenschance einer Beziehung zu bilden.

Doch nicht erst im 21. Jahrhundert möchte man angesichts dieser spannenden Frage nichts dem Zufall überlassen. Auch, wenn sicherlich im aktuellen Stück des Monats nicht in erster Linie ein launisches Liebesglück als Maßstab einer erfolgreichen Ehe gegolten haben wird (wir sind schließlich im 6./7. Jh. n. Chr. in Ägypten) – ist es wirklich erstaunlich, dass man sich im Letzten bei dieser Frage schon damals höheren Mächten zuwandte? Doch lassen wir unser Stück am besten selbst sprechen:

„Gott der Christen: ob es dein Wille ist, dass wir Theodora, deine Dienerin, dem Joseph geben? – Ja.“

Wir befinden uns im christlichen Ägypten, wahrscheinlich als Teil des oströmischen Reiches. Ist es 619 n. Chr. bereits von den Sassaniden unter Chosrau II. erobert worden, 630 n. Chr. an Ostrom zurückgefallen oder 642 n. Chr. endgültig von den Arabern erobert? Für die religiöse Situation wird das keine erhebliche Rolle gespielt haben, da weder das religiös diverse Sassanidenreich, noch die muslimischen Araber anfangs missionarische Bestrebungen hatten.

In jedem Fall wird durch die Anrede deutlich: im geistigen Milieu dieser Orakel-Befragung ist der christliche Gott nur einer unter vielen. Das ist umso erstaunlicher, als doch unter Justinian 535 oder 537 n. Chr. der letzte geduldete pagane Tempel Ägyptens, das Isis-Heiligtum von Philae, geschlossen worden war und die christlichen Kirchen dieser Zeit, allen voran die oströmische Staatskirche, einen exklusiven Monotheismus vertraten. So ist es nicht verwunderlich, dass auch der christliche Geschichtsschreiber Eusebius (3./4. Jh. n. Chr.) in seinem Buch “Theophanie“ kein gutes Haar an heidnischen Orakeln lässt. Er erwähnt in diesem Zusammenhang sogar explizit das Thema Heirat. Es handelt sich also um eine Praktik, die durchaus von wohl keiner größeren christlichen Kirche der Zeit gefördert wurde. Viel eher ist sie wohl ein Überbleibsel der vielfältigen Vorhersagepraktiken aus heidnischer Zeit.

Was genau aber den Vormund oder Vater der hier erwähnten Theodora also veranlasst hat, zu einer aus christlicher Sicht fragwürdigen Praktik Zuflucht zu nehmen, darüber lässt sich nur spekulieren – in jedem Fall war ihm die Wahl des Ehegatten für Theodora wohl sehr wichtig.

Weit aussichtsreicher scheint die Frage nach dem genauen Prozedere bei der Befragung des „christlichen Gottes“. Interessant auf unserem Stück ist, dass wir auf dem Papyrus der Frage zugleich die Antwort mitgeliefert bekommen. Im Vergleich zu ähnlichen Stücken aus der gleichen Zeit ist das besonders.

Paläografische Beobachtungen konnten den Schreiber der Frage und der Antwort als ein und denselben identifizieren. Daraus ergibt sich, dass entweder selbst das Los geworfen und sofort im Anschluss das Ergebnis vermerkt wurde, oder dass es womöglich zwei verschiedene Frage-Papyri mit entgegengesetzten, bereits vorformulierten Antworten gegeben haben könnte, die dann jeweils als Los fungierten, oder getrennt an einer Befragungs-Stelle eingereicht wurden. Ein solches Verfahren legt sich in einem anderen Beispiel nahe, wo man die positive und negative Variante fand (P.Harr. I 54 und P.Oxy. XVI 1926). Allerdings wurde hier nur die Frage jeweils positiv und negativ formuliert und es findet sich keine Antwort wie in unserem Fall. Spekuliert wurde ebenfalls, ob der Fragesteller vielleicht nur dieses Papyrusblatt an eine bestimmte Institution einreichte und sie nur im zutreffenden Fall wieder zurückbekam.

Aber warum sollte unbedingt jemand anders eine solche Entscheidung fällen? Aus einem Reisebericht des Pausanias geht hervor, dass es bereits im 2. Jh. n. Chr. „Selbstbedienungsorakel“ gab, bei denen der Frager nur zu würfeln brauchte. Auch in den Sortes Astramspychi, dem am besten erhaltenen Los- oder Punktierbuch der Antike, kommt der Frager durch innere Eingebung einer Zahl über Umwege letztlich selbst zur Antwort auf seine Frage an das Schicksal.

Doch wie auch immer nun die Antwort auf die Frage ermittelt wurde – dieser Papyrus, der beim ersten Lesen auf etwas kitschige Weise den Beginn einer vom Schicksal gewollten Ehe suggerierte, deutet bei näherer Betrachtung auch darauf hin, dass der Vater oder Vormund offenbar nicht von Anfang an von Joseph überzeugt war. Leider können wir mangels weiterer Beweise nur spekulieren, was das Orakel tatsächlich verriet und vor allem, wie der Verantwortliche letztlich entschied.

Positiv lässt sich also leider nur festhalten, dass Joseph dem Frager zumindest als eine ernsthafte Option für Theodora gegolten zu haben schien.

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Kampf der Weltanschauungen

P. 11517 V

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In diesem Fragment eines Romans oder einer Aretalogie auf einem Papyrus aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. gibt es ein Rededuell zwischen Daulis, der gerade mit seinem Heer Delphi eingenommen hat und das Orakelwesen kritisiert, und dem Propheten des Heiligtums, der die göttliche Wahrheit des Orakels verteidigt.

Ein Streit der Weltanschauungen – dieser Papyrus gewährt einen kleinen Einblick in die griechische Geisteswelt im 2. Jahrhundert n. Chr. In diese Zeit lässt sich das Stück nämlich anhand des Schriftbildes datieren. Drei ungewöhnlich breite Kolumnen, von denen jedoch nur die mittlere, 29 Zeilen lange weitestgehend vollständig ist, während die 24 und 29 Zeilen langen äußeren Kolumnen nur sehr bruchstückhaft erhalten sind, erzählen einen Ausschnitt aus einer Geschichte von einem Angriff auf Delphi. Dessen bekanntes Heiligtum war eines der wichtigsten religiösen Zentren der griechischen Welt, und von überall her kamen Menschen, um dem Orakel von Delphi eine Frage zu stellen. Die Pythia genannte Priesterin saß über einem Erdspalt, aus dem vulkanische Gase strömten, und verkündete die Antworten des Gottes Apollon. Dankbare Fragesteller hatten im Laufe der Jahrhunderte viele wertvolle Weihgaben gestiftet, und das Heiligtum war reich und einflussreich.

Aus dem unvollständigen Text lässt sich über die Handlung entnehmen, dass ein feindliches Heer Delphi eingenommen hat und dort allerlei Schandtaten verübt. Daulis, der Anführer der Armee, bedroht nun den Propheten von Delphi, dessen Aufgabe es ist, die Orakelsprüche der Pythia auszulegen und zu verkünden, mit dem Schwert. Daulis hält eine Anklagerede darüber, dass die Priester die Gutgläubigkeit der Menschen ausnutzen würden, um sie mit Orakelsprüchen zu manipulieren und ihnen das Geld aus der Tasche zu stehlen. Zur Strafe droht er, das Blut des Propheten dem Kriegsgott Ares zu opfern. Der Priester jedoch beschwört die göttliche Wahrheit und die Themis, die göttliche Gerechtigkeit, die an diesem Ort walten, und kündigt Daulis die verdiente Strafe an, die ihn für seine Freveltaten ereilen würde.

Im 2. Jahrhundert n. Chr. florierte das Heiligtum von Delphi ganz besonders, was jedoch auch zur Folge hatte, dass sich besonders viel Kritik an dieser Praxis erhob. Einige Philosophen und andere Intellektuelle kritisierten in ihren Werken mit ähnlichen Argumenten wie Daulis den Betrug an der Bevölkerung, den die Orakelpriester begingen. Dieser Text hier müsste dann von jemandem stammen, der Delphi verteidigen wollte, indem er die Ansichten der Kritiker Daulis in den Mund legt, der am Ende der Geschichte tatsächlich seine Strafe bekommen haben dürfte, um die Macht des Gottes und die Wahrheit des Orakels zu belegen. Es handelt sich vermutlich um eine Szene aus einem Roman oder aus einer Aretalogie, also einem Text, der die Macht eines Gottes priesen sollte, gern in Form von Wunder- oder Bestrafungsgeschichten.

Dass es auch hier zu einem Wunderzeichen gekommen ist, das die Herrschaft des Daulis über Delphi und sein Leben beendete, liegt auch deshalb nahe, weil der Autor des Textes auf eine lange Tradition in dieser Hinsicht zurückgreifen konnte. Die Griechen kannten einige Erzählungen darüber, wie durch Blitze, Erdrutsche, Erdbeben, Schneestürme, Geister von Heroen und andere Erscheinungen Feinde vertrieben wurden, die Delphi einnehmen wollten, wie die Perser im 5. Jahrhundert v. Chr. oder die Kelten im 3. Jahrhundert v. Chr., oder die es sogar bereits eingenommen hatten, wie der griechische Stamm der Phoker im 4. Jahrhundert v. Chr. Das wirft die Frage auf, ob hier eines dieser Ereignisse gemeint ist oder ob der Autor im Rahmen seiner Geschichte einen Angriff erfunden hat, mit den bekannten Erzählungen im Hinterkopf. Leider wird aus den Hinweisen im Text nicht einmal eindeutig klar, ob die Angreifer Griechen oder Barbaren sind. Falls hier ein konkreter Fall geschildert werden sollte, ist am ehesten ein Moment aus der Mythologie gemeint, nämlich der Angriff der Phlegyer, eines wilden Stammes, der mit Apollon und Delphi verfeindet war.

Anhand dieses Papyrus zeigt sich also, wie unter Rückgriff auf altbekannte Geschichten aus dem kulturellen Gedächtnis der Griechen auf literarische Weise ein Kampf zwischen Weltsichten ausgetragen wurde. Einer sehr nüchtern-rationalen Anschauung wird entgegengestellt: Die Macht Apollons in der Welt der Menschen ist real, und er weiß sein eigenes Heiligtum sehr wohl zu verteidigen.

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Göttliche Hilfe in allen Lebenslagen?

BGU I 229 (P. 7318)

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Jeder kennt das doch: Man steht vor einer schwierigen Entscheidung oder einer dringlichen Frage und weiß einfach nicht mehr weiter. Da wäre es doch äußerst praktisch, wenn man jemanden fragen könnte, der einem eine direkte Antwort liefert. Genau das taten die Menschen in der Antike, wenn sie Orakel befragten. Zwei interessante Beispiele für solch eine Orakelanfrage finden sich in der Berliner Papyrussammlung.

Die beiden Dokumente stammen vermutlich aus Soknopaiu Nesos im Faijûm, einer Großoase südwestlich von Kairo, und gehörten vorerst zur Privatsammlung von Heinrich Brugsch, wurden dann jedoch 1891 von der Berliner Papyrussammlung erworben. Sie lassen sich aufgrund der Schrift in das erste Jahrhundert oder das zweite beziehungsweise dritte Jahrhundert nach Christus datieren und wurden auf Papyrus geschrieben. Beide Dokumente umfassen vier Zeilen und sind in griechischer Sprache verfasst. Sie sind auf dem Rekto (Vorderseite) parallel zu den Fasern beschrieben und zeigen keine zusätzliche Beschriftung auf dem Verso (Rückseite).

Der Inhalt der Orakelanfragen ist identisch. Der kranke Stotoetis fragt die Götter Soknopaios und Sokonpieios, ob er wieder gesund wird. Das Griechisch wirkt eher unbeholfen und ebenfalls fällt auf, dass Stotoetis sehr genau identifiziert wird, da der Name seines Vaters sowie seines Großvaters hinzugefügt wurde. Diese genaue Identifikation wurde wahrscheinlich zur Vermeidung einer Verwechslung mit Gleichnamigen gewählt, da zu dieser Zeit keine Nachnamen genutzt wurden, die die Identifikation erleichterten. Somit brauchte der um Hilfe gebetene Gott eine nähere Beschreibung der betroffenen Person.

Die Befragung eines Orakels war eine gängige Methode zum Fällen von Entscheidungen oder zur Beantwortung von Fragen im alten Ägypten. Sie bezog sich jedoch nur auf solche Fragen, die mit einem klaren Ja oder Nein beantwortet werden konnten. Es wurden Fragen zu den verschiedensten Themen gestellt, meist jedoch bezogen auf Krankheiten oder das Privatleben, aber auch zur Beantwortung von rechtlichen Fragen.

Normalerweise wurden bei einer Orakelanfrage zwei Versionen der Frage eingereicht, eine positive und eine negative, woraufhin der Betroffene die zutreffende Antwort zurückerhielt. Aber warum gibt es nun zwei nahezu identische Exemplare der Orakelfrage, beides positive Fassungen? Es könnte verschieden Gründe dafür geben:

So könnten aufgrund der Dringlichkeit des Anliegens in kurzem Abstand zwei Anfragen eingereicht worden sein. Ebenfalls könnte man erwägen, dass Stotoetis die Götter auf irgendeine Weise austricksen wollte, in dem er keine negative Fassung beilegte, um den Göttern nur die Möglichkeit seiner Genesung zu bieten und somit sein Schicksal zu beeinflussen. Ein bloßes Schreibversehen lässt sich jedoch ebenfalls nicht ausschließen.

Die beiden Papyri sind zwei Beispiele für Anfragen an Orakel, welche für Entscheidungen oder dringliche Fragen im alten Ägypten gerne zur Hilfe gezogen wurden. Was es mit den zwei gleichlautenden Versionen auf sich hat, lässt sich nur vermuten. Inwiefern die beiden Papyri zusammenhängen und ob es sich um eine absichtliche Doppelung handelt, bleibt also weiterhin ein Rätsel.

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Die verlorene Eselin

BGU VII 1568 (P. 11473 R)

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Wer etwas ausleiht, möchte es auch wieder erhalten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ausleihe angeordnet wurde oder freiwillig geschah. Einen kleinen Einblick in einen solchen Fall ermöglicht der Text auf diesem Papyrus: eine verloren Eselin soll wiedergefunden werden.

Der Papyrus wurde im Winter 1906/1907 auf der Grabung von Friedrich Zucker in Gharabet el-Gerza im Nordosten des Faijûm, einer Großoase südwestlich von Kairo, gefunden. Gharabet el-Gerza ist der heutige Name für die Ruinen des antiken Philadelpheia, einer Gründung des zweiten ptolemäischen Königs Ptolemaios II. Philadelphos. Der Papyrus stammt allerdings nicht aus dieser frühen Zeit des Ortes, sondern wurde erst mehrere Jahrhunderte später geschrieben, als Ägypten ein Teil des Römischen Reiches war. Darauf verweist auch die Datumsformel in den letzten beiden Zeilen des Textes, die dem 14. Juni des Jahres 261 n.Chr. entspricht.

Der griechische Text auf der Vorderseite (Rekto) dieses Papyrus ist ein Gesuch. Dieses Gesuch wurde in der Formeines Briefes geschrieben und enthält am Anfang und am Ende die typischen Grußformeln antiker Briefe. In diesem Gesuch erbaten Beamte des Arsinoites, wie das Faijûm in der Antike genannt wurde, von den Beamten des Nachbarbezirks Neilopolites die Rückgabe einer Eselin. Bei den Beamten handelte es sich um die sogenannten Eirenarchen, die die Aufgaben einer Polizei wahrnahmen. Die Eselin war für staatliche Leistungen angefordert worden. Diese werden zwar nicht beschrieben, doch wird es sich höchstwahrscheinlich um Aufgaben gehandelt haben, die vermutlich im Zusammenhang mit dem staatlichen Getreidetransport standen.

Der Getreidetransport war eine zentrale Aufgabe des Staates und eng mit dem Steuersystem verknüpft. In zentralen Getreidespeichern wurde das Korn, das von den Bauern eingetrieben wurde, gelagert und weiter verteilt. Das gelagerte Getreide wurde als Saatgut-Darlehen an Bauern verteilt oder zur Versorgung der Städte Ägyptens genutzt. Der Transport erfolgte oft auf dem Landweg, da die Getreidespeicher nicht immer an schiffbaren Kanälen lagen. Esel waren für Landtransporte am geeignetsten und zudem relativ günstig.

In einem solchen Zusammenhang ist offenbar auch die Eselin aus Philadelpheia eingezogen und verwendet worden, die das Thema dieses Textes ist. Nach dem Ende der Arbeiten hätte sie eigentlich direkt zu seinem Eigentümer nach Philadelpheia im Faijûm zurückgebracht werden sollen. Das hat aber offenbar nicht geklappt. Stattdessen wurde sie nach dem Ende der Tätigkeiten für den Staat irrtümlich mit Tieren des Nachbarbezirkes Neilopolites zusammengetrieben und in diesen Landesteil gebracht.

Nun wurde mit diesem Gesuch darum gebeten, den momentanen Halter der Eselin bzw. den Transportleiter, der für den fehlerhaften Rücktransport der Tiere zuständig war, zu ermitteln und die Eselin dem Eigentümer zurückzugegeben. Dieser sei bereits auf dem Weg in den Nachbarbezirk, in dem das Tier sich befinden soll, und werde von einem Polizisten begleitet. Die Eselin solle ihm schließlich gegen eine Empfangsbestätigung übergeben werden. Ob die Eselin gefunden wurde und wieder nach Philadelpheia kam, ist nicht bekannt, weil weitere Texte zu diesem Vorgang nicht mehr erhalten sind.

Der Haupttext wurde offenbar von einem Schreiber oder zumindest von einer anderen Person als den Absendern, da die Grüße in der drittletzten Zeile und die Datierungsformel in den letzten beiden Zeilen von einer anderen Hand geschrieben wurden und man vermuten kann, dass einer der Absender der Schreiber dieser Zeilen war.

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Die Eselin auf Probe

BGU III 1568 (P. 8959)

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Vor einem Kauf will man gern prüfen, was man kauft. So dachte man auch schon vor 2000 Jahren, wie dieser griechische Vertrag über zwei Esel zeigt. Interessanterweise ergibt sich dieser Umstand erst auf den zweiten Blick.

Der Papyrus kam 1894 in die Berliner Papyrussammlung und stammte vermutlich aus der Privatsammlung des Berliner Zeitungsverlegers und Geschäftsmanns Rudolf Mosse. Ursprünglich wurde das Objekt im Faijûm, einer Oase südwestlich von Kairo, gefunden. Aus dem Text erfahren wir Genaueres über seine Herkunft. In der dritten Zeile des Textes wird der Ort Soknopaiu Nesos, das heutige Dime, erwähnt, auch wenn der Papyrus an dieser Stelle stark beschädigt ist und der Ortsname daher nur sehr unvollständig erhalten ist. Die Herkunft des Textes kann also als sicher gelten. Dieses antike Dorf lag auf der Nordseite des Moeris-Sees im Faijûm und war für seinen großen Tempel des Krokodilgottes Soknopaios berühmt. Darüber hinaus beginnt der Text mit einer Datumsangabe, die in unser heutiges Datumssystem umgerechnet den 7. Februar des Jahres 33 n.Chr. ergibt.

Bei dem griechischen Text auf diesem Papyrus handelt es sich um einen Mietvertrag über eine weiße Eselin und ihr weißes Fohlen. Die Tiere gehören einem Stotoetis, Sohn des Horos, der sie an einen Phasis, Sohn des Satabus, vermietet. Die Mietdauer wird angegeben. Die Miete soll bis zum 28. August, also etwas mehr als sechs Monate andauern. Zudem wird vereinbart, dass Phasis monatlich 3 Drachmen für beide Tiere zu zahlen hat. Zudem soll er alle Kosten für den Unterhalt der Esel und die anfallenden Steuern zahlen. Dafür steht es dem Mieter frei, wofür er die Tiere nutzt.

Sowohl die Vertragspartner als auch der Vertragsgegenstand (die Tiere) werden beschrieben. Bei den Personen werden das Alter und äußerliche Besonderheiten angegeben, wie es in solchen Texten üblich ist. So erfahren wir über Stotoetis, dass er etwa 30 Jahre alt ist und eine Narbe an der rechten Hand hat. Über Phasis erfahren wir lediglich, dass er etwa 25 Jahre alt ist. Über die Tiere wird neben der weißen Fellfarbe vor allem betont, dass sie gesund, gut genährt und unbeschädigt sind. Zudem wird für die Eselin ein Wert von 120 Drachmen und für das Fohlen ein Wert von 48 Drachmen angegeben.

Diese Details über die Tiere werden in den Ausführungen über die Rückgabebedingungen wieder aufgegriffen. Der Mieter Phasis ist nämlich verpflichtet, beide Tiere nach Ablauf des Mietzeitraums gesund, gut genährt und unbeschädigt zurückzugeben oder den Wert beider Tiere in Geld zu bezahlen. Stotoetis hatte so die Sicherheit, dass er seine beiden Tiere oder ihren Wert in Geld bekommen würde.

Am Ende des Vertrages bestätigt ein Charimedon eigenhändig, dass der Vertrag gültig ist. Beide Vertragspartner unterzeichnen ebenfalls eigenhändig das Schriftstück, wobei jeweils der Vertragsinhalt bzw. die jeweiligen Verpflichtungen noch einmal zusammengefasst werden. Interessant ist dabei, dass Stotoetis nicht auf Griechisch, sondern auf Demotisch schriebt. Offenbar war er der griechischen Sprache nicht mächtig oder zumindest zweisprachig und bevorzugte das Demotische. Phasis dagegen unterzeichnet auf Griechisch.

Interessant ist nun ein kleines Detail in den Rückgabebedingungen dieses Mietvertrages. Während es auf den ersten Blick so erscheint, als ob vor allem sichergestellt werden sollte, dass Stotoetis seine Tiere bzw. einen Ersatz bekommt, sind diese Bedingungen auch so zu verstehen, dass der Mieter Phasis nach Ablauf des Mietzeitraum frei zwischen der korrekten Rückgabe und der Zahlung wählen kann. Er konnte somit beide Tiere über mehrere Monate nutzen und prüfen, ob er sie am Ende erwerben will. Der Mietzeitraum erscheint somit wie eine Probezeit.

Stotoetis ist auch aus anderen Texten bekannt. In einem vier Jahre älteren Text erwirbt er beispielsweise ein männliches Eselfohlen. Auch in diesem Text wurde er bereits als ein Mann im Alter von etwa 30 Jahren mit einer Narbe an der rechten Hand beschrieben.

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Autokauf in der Antike?

BGU III 982 (P. 9791)

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Esel erfüllten vor 2000 Jahren viele Aufgaben, die heute von Autos, Motorrädern, Lieferwagen etc. erfüllt werden. Und heute wie damals hat man damit gehandelt. So wundert es nicht, dass sich Dokumente erhalten haben, die einen solchen Besitzerwechsel bescheinigen. Der hier vorgestellte Papyrus ist ein solches Beispiel.

Das kleine Papyrusblatt wurde in Dimê im Faijûm, einer Großoase südwestlich von Kairo, gefunden und gelangt über die Privatsammlung Reinhardt 1896 in die Berliner Papyrussammlung. Dimê ist die archäologische Fundstätte des antiken Soknopaiu Nesos, einem Ort mit einem wichtigen Heiligtum nördlich des Moerissees im Faijûm. Dieser Ort wird auch im griechischen Text auf diesem Papyrus erwähnt, so dass seine Herkunft als sicher gelten kann.

Der Text stammt aus der Römischen Zeit. Die enthaltene Datumsformel des römische Kaisers Trajan verweist auf das Jahr 107 n.Chr. Das Tagesdatum ist aufgrund des Materialverlustes in Zeile 5 nicht mehr lesbar. Der genannte und in wenigen Resten noch lesbare Monatsname Epeiph entspricht aber dem Zeitraum von Ende Juni bis Ende Juli. Der Text lässt sich also in den frühen Sommer des Jahres 107 n.Chr. datieren.

In dem Text wird bescheinigt, dass ein Pekysios, Sohn des Stotoetis, aus dem genannten Ort Soknopaiu Nesos von einem Posidonios, Sohn des Posidonios, eine Eselin mit weißer Brust gekauft und den vereinbarten Kaufpreis bezahlt hat. Über die genannten Personen wissen wir außer den genannten Angaben in diesem Text nichts. Die Namen des Käufers und seines Vaters sind allerdings sehr typisch für den Ort Soknopaiu Nesos und hätte auch ohne die explizite Nennung des Ortes eine Zuordnung erlaubt.

Die Beschreibung des Tieres dient der genaueren Identifizierung des Kaufobjekts und wird in dem Kaufvertrag, der dieser Bescheinigung vorausging, sicherlich noch ausführlicher gewesen sein. In anderen Kaufverträgen über Esel werden neben dem Geschlecht des Tieres und seiner Farbe auch noch weitere äußerliche Besonderheiten und sein Alter angegeben. Letzteres war auch wichtig für die Festsetzung des Kaufpreises.

Die Transaktion fand nicht direkt zwischen den beiden Vertragspartnern statt. Sie wurde durch eine Bank vermittelt, die im Text dieser Bescheinigung auch genannt wird. Es handelt sich um die Bank eines ansonsten ebenfalls unbekanntes Heras, Sohn des Akusilaos. Über dies Bank erfahren wir, dass sie sich in Lykion befand. Dabei handelt es sich um einen Stadtteil von Ptolemais Euergetis, der Hauptstadt des Arsinoites, wie das Faijûm in der Antike genannt wurde.

Die genaue Summe, die in diesem Text für die Eselin bezahlt wurde, ist nicht mehr erhalten, da der Papyrus unten abgebrochen ist. Bei vergleichbaren Verkäufen von Eselinnen in jener Zeit wurden Preise von 100 bis 150 Drachmen bezahlt. Der Erwerb eines Esels bedeutete also eine erhebliche Investition im römischen Ägypten.

Bei diesem Text handelt sich also um eine Quittung für den Verkauf dieses Tieres. Doch geben die ersten beiden Worte der ersten Zeile noch einen genaueren Hinweis auf die Art dieses Textes. Dort steht, dass es sich um eine Abschrift einer Quittung handelt. Diese wurde offenbar für Verwaltungszwecke angefertigt und archiviert. Die Buchstaben dieser beiden Worte sind etwas größer geschrieben worden als der Rest des Textes, so dass beide Worte wie eine Überschrift für diesen Text wirken.

Neben diesen interessanten Einblicken in die Einzelheiten eines Tierhandels vor 2000 Jahren bietet der Text ein weiteres Detail über die Menschen der damaligen Zeit. Wir wissen zwar nicht, wer diesen Text geschrieben hat. Doch schrieb diese Person manche Wörter anders als die meisten Zeitgenossen. Am deutlichsten wird das am Ortsnahmen Soknopaiu Nesos, in dem anstelle des „o“ immer ein „e“ geschrieben wurde. Es ist naheliegend, dass der Schreiber und sicherlich auch viele seiner Zeitgenossen diesen Namen offenbar so ausgesprochen haben, dass eine Verwechslung von „o“ und „e“ möglich wurde. Gelegentlich schrieb man eben, wie man sprach.

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