Ein magisches Traumorakel

GEMF 30/PGM II (P. 5026)

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Sowohl in der Zeit des alten Ägyptens als auch in der Antike, spielten Traumerscheinungen eine wichtige Rolle. Nur in den Träumen konnte ein Toter einem Lebendigen direkt erscheinen. Darüber hinaus glaubte man, dass Träume die Zukunft vorhersagen konnten. Daher wurden oft Ritualzeremonien von Priestern durchgeführt, die aus Hymnen bzw. Aufrufen an einen oder mehreren Göttern bestanden, um ein Orakel erhalten zu können. Dazu musste man jedoch ganz genaue Anweisungen einhalten und nach einem bestimmten Prozess vorgehen. Diese Prozesse wurden in magischen Texten festgehalten. Ein solcher Text befindet sich in der Ausstellung des Neuen Museums in Berlin.

Der in griechischer Sprache verfasste Papyrus stammt aus dem späten 2. bzw. frühen 3. Jahrhundert n. Chr. und wurde wahrscheinlich in der am Nil liegenden Stadt Theben verfasst. Für die Berliner Sammlung kaufte 1857 Richard Lepsius den vorliegenden Text aus der Sammlung des griechischen Händlers Giovanni Anastasi in Paris. Der Papyrus bildet den Schlussteil eines magischen Handbuchs, welches ursprünglich die Form einer Rolle hatte. Ein weiteres Fragment dieses magischen Handbuchs befindet sich heute in der British Library in London. Es passt direkt an den Berliner Papyrus. Sein Text geht dem Berliner Text voraus. Offenbar wurde der einst zusammenhängende Papyrus zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem Verkauf auseinandergeschnitten.

Auf dem Berliner Papyrus haben sich vier Kolumnen erhalten. Während die ersten drei die gesamte Höhe des Papyrus ausnutzen, ist die vierte Kolumne deutlich kürzer. Sie enthält allerdings hauptsächlich die Zeichnung eines kopflosen Totengeistes (akephalos). Auch im restlichen Text sind kleinere Zeichnungen zu finden. Sie stehen teilweise direkt im Text, am Rand oder, wie im Falle des Skarabäus in der dritten Kolumne, unter dem Text. Diese Zeichnungen sind keine Illustrationen, sondern dienen als Vorlagen für magische Zeichnungen, die auf unterschiedliche Schriftträger gebracht werden sollen. Außerdem wurde die vierte Kolumne mit einer anderen Art von Tinte geschrieben als die restlichen drei Kolumnen. Der Grund dafür wird aktuell noch untersucht. Der Text auf dem Berliner Papyrus ist fast vollständig. In der ersten Kolumne fehlen in jeder Zeile wenige Buchstaben entlang eines Risses, der sich über die gesamte Höhe des Papyrus zieht.

Der vorliegende Text enthält eine Sammlung an Anweisungen, Hymnen und Gebeten, die offenbar als Anhang für die Beschreibung einer Zeremonie dienten, mit der im Schlaf ein Traumorakel vom Sonnengott Apollon-Helios-Harpokrates und vom Geist eines Menschen, der einen gewaltsamen Tod erleiden musste, erlangt werden sollte. Der Geist eines Toten mag zunächst verwundern. In der Traumdeutung wurden jedoch Toten und Göttern, die in einem Traum auftraten, fast die gleiche Bedeutung und Wichtigkeit gegeben. Die Macht eines Menschen steigerte sich nach seinem Tod ins Unermessliche und auch sein Wissen war fast unbegrenzt. Bei Menschen, die sehr jung, unvermählt oder gewaltsam gestorben sind, wurde vermutet, dass diese Toten sehr rachsüchtig und bösartiger waren. Konnte man jedoch einen gewaltsam Verstorbenen überzeugen, Hilfe in Form eines Orakels zu leisten, so kam diesem Orakel eine größere Bedeutung zu.

Im erhaltenen Teil des Textes werden zahlreiche Anweisungen zum Prozess des Traumorakels aufgezählt. So wird ein Rezept beschrieben, welches helfen soll, die im Traum gesagten Worte behalten zu können. Zuerst soll der Mund mit Weihrauch gereinigt werden. Dann soll eine Salbe aus Honig, der Krautpflanze Artemisia und einem Magnetstein aus dem Herz des Vogels Wiedehopfs auf die Lippen aufgetragen werden. Ein weiteres Rezept zum Erinnern des Traumes besteht aus Pflanzen wie Lorbeer, Kümmel und Nachtschatten, die mit Wasser vermengt werden sollen. Das Gemisch wird am Abend des Traumorakels in das rechte Ohr geträufelt. Zudem gibt es einige Anweisungen, die das Aufbringen von magischen Zeichnungen beinhalteten. Die Tinte, die für das Aufschreiben der Zauberworte benutzt wird, soll aus Myrrhe, Fünffingerkraut und Beifuß gewonnen werden. Selbst der Ort, an dem das Ritual stattfindet, muss entsprechend vorbereitet werden. Die Matte muss auf dem Boden unter dem freien Himmel liegen und der Ort soll mit Eselsmilch gereinigt werden. Vor dem Schlaf werden Opfergaben auf einen Altar erbracht. Während des Schlafes muss der Orakelsuchende auf seiner rechten Seite liegen und einen Lorbeerkranz in der rechten Hand halten, für dessen Herstellung ebenfalls Anweisungen gegeben werden.

Beim Betrachten des Papyrus fällt sofort die recht große Zeichnung eines kopflosen Totengeistes, griechisch akephalos genannt, auf. Er wurde im antiken Verständnis als eine Gestalt wahrgenommen, die weder das Gute noch das Böse repräsentierte. In anderen Kulturen wird er meistens als unheilbringend angesehen. Um den Totengeist herum sind magische Wörter, so genannte voces magicae, geschrieben worden, die den Zauber verstärken sollen. Auf seinem Körper sind die griechischen Vokale geschrieben worden, denen ebenfalls eine magische Bedeutung zukam. Diese Zeichnung sollte neben den Kopf des Schlafenden gelegt werden.

Im Prozess des Traumrituals sollen die Hymnen einen bestimmten Gott beschwören, in der Unterwelt den jeweiligen Toten, von dem der Orakelsuchende einen Teil der Kleidung oder des Körpers in der Hand hielt, aufzufinden und dessen Geist im Traum des Orakelsuchenden erscheinen zu lassen. Im Falle dieses magischen Textes wurden zwei Hymnen Apollon, dem Gott des Lichts und der Weisheit, und Helios, dem Sonnengott, gewidmet. Für die Begegnung mit den Göttern werden genaue Anweisungen und sogar Zwangsmittel gegeben. So wird der Gott zuerst gebeten, dem Orakelsuchenden eine Weissagung zu gestatten. Falls das Ritual scheitert, so wird es am nächsten Tag mit einer weiteren Opfergabe wiederholt. Bei jedem weiteren Fehlschlag wird eine weitere Opfergabe an den folgenden Tagen hinzugelegt, bis der Gott einen Toten aus der Unterwelt in den Traum des Orakelsuchenden hinaufschickt. Wenn nun der Schlafende dem Gott begegnet, dann soll er ihm die Opfergaben darbieten. Nun kann er mit der Totenseele reden. Wenn er alles erfahren hat, dann wird der Gott freigegeben und die letzten Zauberworte werden gesprochen. Nachdem der Orakelsuchende aufgewacht ist, teilte er seine Traumerscheinungen mit und wurde von speziellen Priestern beraten.

Auf diese Art und Weise wurden viele Orakeldeutungen erlangt, die oft die Geschichte der Antike an der einen oder der anderen Stelle beeinflusst haben. Dieser Text gibt uns somit einen Einblick in die antike Traumliteratur.

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