Germanische Wahrsagerin in Ägypten?

SB III 6221 (P. 12682)

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Germanen in Ägypten? Das kann man sich kaum vorstellen. Und doch gibt es einige Zeugnisse aus der römischen Zeit, die den Aufenthalt germanischer Menschen in Ägypten belegen. Ein solches Beispiel ist das hier vorgestellte Objekt. Diese unscheinbare Tonscherbe bietet den Beweis für eine Germanin in Ägypten, die zudem noch einen ganz besonderen Beruf hatte.

Das Ostrakon (beschriftete Tonscherbe) wurde während der Grabungen von Otto Rubensohn in den Jahren 1906 bis 1908 auf der Insel Elephantine gefunden und gelangte kurz darauf in die Berliner Papyrussammlung. Diese Insel Elephantine liegt mitten im Nil gegenüber der Stadt Assuan im Süden Ägypten. Das Ostrakon enthält einen Text in griechischer Sprache. Die leserliche Schrift lässt sich in das 2. Jahrhundert n.Chr. datieren.

Der Inhalt des Textes ist auf den ersten Blick sehr banal – es ist eine Liste von Namen. Solche Namenslisten werden häufig wenig beachtet und geringgeschätzt. Das liegt daran, dass der Zweck solcher Listen nur selten herauszubekommen ist. Zudem ist ihr Kontext meist unbekannt. Doch gibt es Ausnahmen, wenn beispielsweise ein Name in der Liste auffällt und weitere Fragen anregt. Namen können nämlich bisweilen recht wichtige Erkenntnisse liefern. So ist es auch bei der Liste auf diesem Ostrakon.

Alle Namen in dieser Liste stehen im Dativ. Man könnte daraus schließen, dass den Personen in dieser Liste etwas (z.B. Geld o.ä.) gegeben werden soll. Doch lässt sich das nicht sicher sagen, da der Kontext der Liste unbekannt ist und keine weiteren Informationen im Text stehen. Auffällig ist aber, dass die Liste durch einen horizontalen Strich zwischen der sechsten und siebten Zeile in zwei Teile gegliedert wurde. Über diesem Strich sind auffällig viele römische Namen aufgelistet worden. So finden unter anderem die lateinischen Namen Clemens, Cassius, Longinus und Iulius – alle Namen wurden allerdings in griechischer Schrift geschrieben. Über die Personen in dieser ersten Gruppe erfährt man, dass es sich um cornicularii, centuriones und actuarii handelte, die möglicherweise im persönlichen Dienst des römischen Statthalters in Ägypten standen. All diese Begriffe sind Rangbezeichnungen der römischen Armee. Es ist also durchaus möglich, dass wir hier eine Liste des militärischen Stabs des römischen Statthalters in Ägypten haben.

Die aufgelisteten Namen unter dem Strich sind allerdings noch interessanter. In der hier folgenden zweiten Gruppe von Namen erscheint kein einziger römischer Name. Auch eine militärische Rangbezeichnung ist hier nicht zu finden. Stattdessen erscheint hier unter anderem ein Freigelassener des römischen Statthalters in Ägypten und ein Walker mit dem Namen Narkissos. Bei diesem handelt es sich mit großer Sicherheit um einen Sklaven, da in jener Zeit den Sklavenkindern häufig Namen aus der Mythologie gegeben wurden. Narkissos war in der griechischen Mythologie ein schöner Jüngling, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte und die Liebe anderer zurückwies. Wenn also in der ersten Gruppe von Namen in dieser Liste der militärische Stab des römischen Statthalters aufgelistet wurde, so ist es durchaus möglich, dass in der zweiten Gruppe seine Dienerschaft zusammengefasst wurde.

Eine Besonderheit ist aber ein Name in der zweiten Gruppe, der weder ägyptisch noch griechisch noch lateinisch ist: Baluburg. Die Fremdheit dieses Namens wird schon dadurch deutlich, dass der Schreiber keine passende griechische Endung für den Dativ wie bei allen anderen Namen angefügt hat. Offenbar hatte er bereits genügend Probleme, den Namen so wiederzugeben, wie er ihn hörte. Es handelt sich um den Namen Walburg, zwar heute nur noch sehr selten begegnet, aber durch die Walpurgisnacht bekannt ist.

Von dieser Walburg erfahren wir, dass sie wahrscheinlich zum germanischen Stamm der Semnonen gehörte und eine Sibylle, eine wahrsagende Frau, war. Germanische Wahrsagerinnen begegnen uns in den antiken literarischen Quellen recht häufig. Am bekanntesten ist vielleicht Veleda, die während des Bataveraufstands in Germanien 69 bis 70 n.Chr. den Sieg der aufständischen Germanen weissagte. Die Walburg auf diesem Ostrakon kam möglicherweise als Kriegsgefangene in den Haushalt des römischen Statthalters, der – wie damals üblich – die Wahrsagerei schätzte. Je fremdartiger diese war, umso besser. Und so war Walburg sicherlich auch ein wichtiges Mitglied des statthalterlichen Haushalts und begleitete ihren Herrn nach Oberägypten, wo schließlich auf der Insel Elephantine dieses Ostrakon gefunden wurde.

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