PGM XXI (P. 9566 V)
Magie mit Schlangen und Fröschen? Beide erscheinen durchaus als Teile von magischen Rezepturen, wobei den Tieren teilweise ein sehr drastisches Schicksal droht. Ganz anders verhält es sich im hier präsentierten Papyrustext, in dem sie als göttliche Begleiter der Gottheit erscheinen, deren Unterstützung für den Zauber erbeten wird.
Der Papyrus kam 1894 in die Berliner Papyrussammlung und stammte aus der Privatsammlung des Berliner Verlegers und Geschäftsmanns Rudolf Mosse. Er ist beidseitig in griechischer Sprache beschrieben. Beide Texte sind nur sehr fragmentarisch erhalten. Auf der Vorderseite sind Reste von 39 Zeilen eines Prozessprotokolls aus dem Faijum mit deutlichem unteren Rand zu sehen. Der Text kann aufgrund der Schrift in das 2. oder 3. Jahrhundert n.Chr. datiert werden. Die Rückseite mit 34 Zeilen wurde etwas später beschrieben und ist aufgrund der Schrift in das 3. Jahrhundert n.Chr. zu datieren. Der Rückseitentext steht kopfüber zur Vorderseite. Ein oberer Rand ist deutlich sichtbar. Auf der linken Seite sind die Zeilenanfänge zu erkennen. Die wenigen Schriftspuren davor zeigen, dass es sich hier nicht um den Beginn des Textes und einen linken Rand, sondern lediglich um den Zwischenraum zwischen zwei Kolumnen handelt. Diese Beobachtung wird durch die Tatsache bestätigt, dass der Text in der ersten Zeile mitten im Satz beginnt. Wir müssen also davon ausgehen, dass vor der erhaltenen Kolumne mindestens eine weitere Kolumne gestanden haben muss. Vermutlich waren es aber sehr viel mehr, wie wir aus vergleichbaren und besser erhaltenen Texten mit ähnlichem Inhalt wissen. Bewahrt ist somit nur ein kleiner Ausschnitt einer ursprünglich wohl mehrere Kolumnen umfassenden Rolle.
Aus den erhaltenen Resten lässt sich erkennen, dass es sich um ein magisches Handbuch handelt. Dieses umfasste vermutlich mehrere Zauberanweisungen (praxeis) und Zaubersprüche (logoi). Erhalten haben sich lediglich das Ende eines Gebetes und der Beginn eines Zauberspruchs. Sie gehörten zu einem Schutzamulett, auf das in Zeile 23 explizit Bezug genommen wird. Da sich von diesem Zauberspruch aber zu wenig erhalten hat, lässt sich nicht mehr sagen, welchem konkreten Zweck dieses Schutzamulett diente und wovor es schützen sollte. Der größte Teil des bewahrten Textes widmet sich der Anrufung an den großen Gott, der die Welt erschaffen hat. Er wird als Agathos Daimon angesprochen und ausführlich beschrieben und gewürdigt. Die meisten Beschreibungen, Beinamen und Aspekte dieses Gottes, die hier zu Sprache kommen und aus ägyptischen religiösen Vorstellungen stammen, sind auch in anderen magischen Texten belegt. Interessant und sehr selten dagegen ist die Erwähnung von acht Wächtern dieses großen Gottes in den Zeilen 19 und 20, die sich in vier göttlichen Paaren gruppieren: Heh/Hehet (Unendlichkeit), Kek/Keket (Finsternis), Nun/Nunet (Urgewässer) und Amun/Amunet (Verborgenheit). Dabei handelt es sich um Personifikationen der männlichen und weiblichen Aspekte des Zustandes der Welt vor der Schöpfung – dem Chaos. Sie werden als Achtheit bezeichnet und mit Hermupolis verbunden, das im Ägyptischen Chemenu = (Stadt der) Acht heißt. Im Griechischen sind die Gottheiten der Achtheit nur in einem weiteren magischen Text belegt. Im Ägyptischen erscheinen sie häufiger, vor allem auch mit bildlichen Darstellungen in Reliefs, wie z.B. in Philae und Dendera. Dabei werden die Göttinnen mit Schlangenköpfen, die Götter mit Froschköpfen dargestellt, was ebenfalls darauf hinweist, dass es sich um Urwesen handelt. Im vorliegenden magischen Text sind zwar keine bildlichen Darstellungen der Achtheit eingefügt worden, doch werden sie – wie auch andere magische Wörter – im laufenden Text durch Schrägstriche hervorgehoben.
So fragmentarisch dieser Text ist, so zeigt er doch mit der Erwähnung der Achtheit das Fortleben von alten ägyptischen Vorstellungen in der römischen Zeit und ihre Nutzung für magische Zwecke.