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Über die Berechnung von Flächeninhalten, Diagonalen und Volumen zerbrach man sich in der Schule nicht nur heute den Kopf, denn Mathematik war auch in längst vergangen Zeiten ein wichtiger Bestandteil des Unterrichtes. Da waren Aufgaben, bei denen die Lösungen gleich mitgeliefert wurden, immer gern gesehen. So zum Beispiel verfasste offenbar ein Schüler diesen Text mit mindestens fünf mathematischen Aufgaben, die jeweils mit illustrierenden Zeichnungen und Lösungen versehen wurden. Die ersten beiden Aufgaben haben sich nur fragmentarisch erhalten, doch lässt sich ihr Inhalt noch erkennen. Die restlichen Aufgaben sind noch vollständig.
Dieser in Griechisch verfasste Text aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts nach Christus wurde auf die Rückseite eines Verwaltungstextes einer Behörde aus Theadelpheia im Faijum aus dem Jahr 138/139 n.Chr. geschrieben, in dem verschiedene Listen über Arbeitskräfte, Abrechnungen von Weizenlieferungen, eine Übersicht von Bodenflächen u.ä. zusammengefasst wurden. Der Papyrus wurde also für die mathematischen Aufgaben wiederverwendet.
Die Handschrift ist etwas ungelenk und scheint von einem nicht sehr geübten Schreiber zu stammen. Die Zeichnungen, die jeder Aufgabe hinzugefügt und in denen die Lösungen der Aufgaben eingeschrieben wurden, sind unsauber ausgeführt und nehmen keine Rücksicht auf die in den jeweiligen Aufgaben beschriebenen Längen der Linien und ihr Verhältnis zueinander. Darüber hinaus enthält der Text eine Reihe von Fehlern und Missverständnissen, die darauf schließen lassen, dass der Schreiber diese Aufgaben aus einer Vorlage ohne Sorgfalt und mit mangelndem Verständnis abgeschrieben hat.
Es handelt sich um zwei geometrische und drei stereometrische Aufgaben, die noch heute in kaum abgewandelter Form von Schülern gelöst werden. In der ersten Aufgabe soll der Flächeninhalt und die Diagonale eines rechtwinkligen Parallelogramms (das ist ein Rechteck) ausgerechnet werden. Interessanterweise wird bei der Lösung der Aufgabe das Parallelogramm als zwei rechtwinklige Dreiecke aufgefasst und die Diagonale nach dem berühmten Satz des Pythagoras bestimmt. Die zweite Aufgabe befasst sich mit einem rechtwinkligen Dreieck und dessen Flächeninhalt und Hypotenuse. Auch in der dritten Aufgabe soll der Flächeninhalt eines Dreiecks bestimmt werden. Allerdings wird bei diesem gleichseitigen Dreieck auch die Bestimmung der Mittelhöhe verlangt. Die letzten beiden Aufgaben sind Textaufgaben, bei denen man das Volumen eines Steines und eines Dreifußes (der wahrscheinlich aber als abgestumpfter Kegel aufgefasst werden muss) berechnen soll. In diesen beiden Aufgaben finden sich auch die meisten Fehler, da der Schreiber beispielsweise vergessen hatte, unterschiedliche Maßeinheiten umzurechnen und damit zu einem falschen Ergebnis kommt.
Aufgrund vieler Ähnlichkeiten im Verfahren und in den Ausdrücken mit den mathematischen Schriften des Heron aus Alexandreia kann die Vorlage, die unserem Text zugrunde liegt, wohl auch dieser mathematischen Richtung zugeordnet werden. Einige Aufgaben unseres Textes entsprechen den Aufgaben aus den Schriften Heron nicht nur in der Thematik, sondern sogar in den Maßen. Der praktische Nutzen dieser Aufgaben zeigt sich schon in der Maßeinheit, die für den Flächeninhalt benutzt wird: die Arure, ein ägyptisches Ackermaß. Man kann also vermuten, dass diese Aufgaben beispielsweise in der Ausbildung von Feldmessern verwendet wurden.