Privatbrief

BGU II 385 (P. 6901)

Scan

„Ich möchte, dass du erfährst, dass ich allein bin.“ Dieser Satz wirft mindestens so viele Fragen auf wie der Brief, aus dem er stammt. Geschrieben wurde er von einer gewissen Serenilla an ihren Vater Sokrates.

Der Papyrus, auf den der Brief geschrieben wurde, wurde im Faijum, einer Großoase südwestliche von Kairo in Ägypten, gefunden. Geschrieben wurde er möglicherweise an einem anderen Ort, der allerdings nicht genannt wurde. Er wird in das 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. datiert.

Der Brief beginnt damit, dass Serenilla ihren Vater grüßt und ihm alles Gute wünscht. In den nächsten Zeilen schreibt sie ihm, dass sie für ihn jeden Tag zum Gott Sarapis betet, damit es ihm immer gut gehe. Es kommt in antiken Privatbriefen häufig vor, dass die Leute einander zu Beginn oder zum Schluss mit Gebeten grüßen. Gefühlvoll bittet sie ihren Vater um einen Antwortbrief, den er dem Überbringer mitgeben soll. Sie befürchtet, dass die Leute denken könnten, sie sei eine Waise, wenn ihr Vater nicht an sie denkt und ihr nicht schreibt. Den Brief beendet sie mit Grüßen an ihre Mutter, ihre Brüder und einen Sempronius und seine Familie, der ein Verwandter oder Freund der Familie sein könnte.

Sehr wahrscheinlich hat Serellina den Brief persönlich geschrieben, was aus den Größenunterschieden der Buchstaben und den häufigen Streichungen und Korrekturen zu erkennen ist. Zum Ende hin scheint Serenilla erschöpft gewesen zu sein, denn einige Buchstaben musste sie mehrfach nachzeichnen.

Auf der Rückseite des Papyrus, die in Bezug auf die Vorderseite von oben nach unten beschrieben wurde, stehen Absender, Empfänger und Überbringer des Briefes. Hier erfahren wir auch, dass der Vater des Sokrates Skiphas hieß. Überbracht wurde der Brief durch Sarapammon, der hier als Bruder angegeben wird, was aber nicht unbedingt wörtlich zu nehmen ist. Möglich ist, dass diese drei Zeilen von ihm verfasst wurden, da die Schrift nicht der Schrift von Serenilla entspricht. Ebenfalls von Interesse sind die sich kreuzenden Linien auf derselben Seite. Um sicher zu stellen, dass kein anderer den Brief öffnet, wurden Striche über die Schnur gezeichnet, die den klein gerollten oder gefalteten Brief zusammenhielt. Wenn der Brief geöffnet wurde, war es nicht mehr möglich, ihn so zu verschließen, dass die Linien wieder korrekt zusammengesetzt waren. So wusste der Empfänger wusste, dass schon jemand den Brief vor ihm geöffnet hatte.

Wie bei den meisten Briefen aus der Antike kennen wir die Personen, die genannt werden, überhaupt nicht. Deshalb sind nur Vermutungen möglich über die Situationen, in denen sie sich befinden. Es könnte sein, dass Serenilla ihre Familie nicht im Guten verlassen hat, denn sonst müsste sie nicht befürchten, dass sie von ihrem Vater vergessen wird. Ob Sokrates auf den Brief geantwortet hat, wissen wir nicht, aber es wäre durchaus interessant zu erfahren, was geschah. Vielleicht holte er seine „verlorene“ Tochter wieder nach Hause, damit sie nicht allein blieb. Wir wissen es nicht. Wieso Serenilla ihrem Vater genau dann geschrieben hat, ist auch nicht ersichtlich. Sie bat in diesem Brief um keine materielle Unterstützung, was entweder bedeutet, dass sie versorgt war, z.B. durch eigene Arbeit, oder sie hielt es nicht für angebracht, ihren Vater darum zu bitten. Was auch immer Serenilla dazu bewog, ihrem Vater zu schreiben, und ob sie den gewünschten Antwortbrief von ihm erhielt, bleibt leider weiterhin ungeklärt. Vielleicht befindet sich ein weiterer Brief der Serenilla oder ihres Vaters Sokrates in den unerforschten Beständen der Berliner Papyrussammlung.

Dieser Beitrag wurde unter Stück des Monats abgelegt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Bitte hinterlassen Sie uns eine Nachricht:

* erforderlich

*