BKT VI 6.3 (P. 9051)
„Tag der Auferstehung“ – mit diesen Worten beginnt die erste Strophe des Liedes auf diesem Schriftstück und stehen als Überschrift für das Folgende: Christus‘ Auferstehung, das Osterfest.
Aus dem christlichen Kontext sind viele Hymnen überliefert. Bestimmte Feste des Kirchenjahres hatten schon in der Frühzeit des Christentums ihre liturgischen Gesangstexte. Ein solches Beispiel hat sich auch hier erhalten. Bei diesem Schriftstück handelt es sich um das Doppelblatt eines Kodex, dem Vorläufer unseres heutigen Buches. Von den vier Seiten, die für die Beschriftung zur Verfügung standen, wurden drei mit dem griechischen Text dieses Liedes beschrieben. Die Schrift lässt sich aufgrund ihrer Form in das 10. Jahrhundert nach Christus datieren. Auf diese späte Zeit verweist auch das verwendete Material. Es handelt sich nämlich um Papier.
Der Text enthält Ausschnitte aus dem Osterkanon des Johannes von Damaskus. Der Kanon ist in anderen Quellen gut überliefert, so dass man ein recht genaues Bild erhält, wie viel auf dem hier vorliegenden Blatt fehlt. Der Kanon besteht aus neun einzelnen Oden, die hier durch Überschriften gekennzeichnet und nummeriert werden. Daraus wird ersichtlich, dass sich auf diesem Papier unvollständige Reste der Oden 1 bis 6 erhalten haben. Auffällig ist, dass die Ode 2 fehlt. Diese fehlt allerdings auch in der übrigen Überlieferung. Es wird vermutet, dass sie aufgrund ihrer übermäßigen Länge ausgelassen wurde. Im Vergleich zum vollständigen Text der übrigen Überlieferung ist außerdem auffällig, dass von jeder Ode nur die wichtige erste Strophe in den Text auf diesem Doppelblatt aufgenommen wurde. Diese ersten Strophen haben einen engeren Bezug zum biblischen Text. Die zwei bis drei Zwischenstrophen jeder Ode, die die biblischen Berichte nachgestalten, sind ausgelassen worden. In allen Oden des Osterkanons wird die Freude über Christus‘ Auferstehung besungen, aber unterschiedlich thematisiert. In der ersten Ode steht die universale Bedeutung der Auferstehung im Mittelpunkt. In der dritten Ode geht es um die Eucharistie, insbesondere ihre lebensspendende Kraft: Christus als Quelle der Unsterblichkeit. Die vierte Ode schließt sich inhaltlich wieder enger an die erste Ode an, wenn am Ende ihrer ersten Strophe der Ausruf des Engels zitiert wird: „Heute wird der Welt Erlösung zuteil, weil Christus, der Allmächtige, auferstanden ist.“ Die fünfte Ode wirft Licht auf die liturgische Feier der Auferstehung, wenn in Anspielung auf den biblischen Bericht von dem Gang zum Grab gesungen wird, der aber nicht von Myrrhe zu Salbung des Leichnams, sondern von Hymnen begleitet wird. Die sechste Ode thematisiert den Abstieg Christi zu den Toten und seinen Sieg über den Tod.
Der Autor dieses Osterkanons, Johannes von Damaskus, ist ein berühmter christlicher Theologe und Kirchenvater. Über sein Leben ist nicht viel bekannt. Problematisch kommt hinzu, dass viele Berichte über sein Leben legendenhafte Züge tragen. Er soll im Alter von 104 Jahren am 4. Dezember 749 gestorben sein. Er entstammte einer wohlhabenden christlichen Familie aus Damaskus und verbrachte den ersten Teil seines Lebens im hohen Staatsdienst unter den Umayyaden. Später verließ er Damaskus, vielleicht aufgrund der einsetzenden Islamisierung der Verwaltung, und trat als Mönch in das Kloster Mar Saba südöstlich von Jerusalem ein, wo er auch starb.
Dieser Osterkanon entstand also in einer Zeit, als Damaskus bereits Hauptstadt des Kalifats und der Islam die dominante Religion waren. Die hier erhaltenen Ausschnitte sind ca. zwei Jahrhunderte jünger und stammen aus dem ebenfalls islamischen Ägypten.
Diese Ausschnitte aus dem Osterkanon des Johannes von Damaskus waren in der Sonderausstellung „Klangbilder – Musik im Alten Ägypten“ zu sehen.