Weisheit oder Macht – wer ist der moralische Sieger?

BKT IX 38 (P. 6934 V + P. 21137 V)

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Die Auseinandersetzung zwischen Weisheit und Macht ist ein altes Thema. So wundert es auch nicht, dass von vielen berühmten weisen Frauen und Männern Geschichten überliefert sind, in denen von solchen Auseinandersetzungen berichtet wird. Ein fragmentarisch erhaltenes Beispiel findet sich auf einigen Papyrusfragmenten der Berliner Papyrussammlung.

Unter dem Namen des berühmten griechischen Arztes Hippokrates von Kos sind nicht nur medizinische Texte überliefert. In der Antike zirkulierten auch Briefe von ihm. Sie geben vor, Teile seiner Korrespondenz zu sein, und könnten somit wertvolle Einsichten in das Denken und Handeln des Hippokrates liefern. Doch aufgrund vieler Anachronismen müssen sie als fiktiv und daher als pseudo-hippokratisch bezeichnet werden. Diese Briefe behandeln das Thema der Auseinandersetzung zwischen Macht und Weisheit und zeigen die moralische Überlegenheit des idealen Arztes Hippokrates. Von vielen Briefen gibt es mehrere Versionen desselben Inhalts, aber unterschiedlicher Länge. Sie sind in mittelalterlichen Handschriften überliefert worden und haben sich in Abschriften auch auf einigen Papyri aus dem römerzeitlichen Ägypten erhalten.

Auf dem Verso (Rückseite) mehrerer Fragmente einer beidseitig beschriebenen Rolle haben sich Reste einiger dieser Briefe enthalten. Auf dem Rekto (Vorderseite) ist fragmentarisch eine Urkunde aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. erhalten. Daher sind die Briefe auf dem Verso etwas später zu datieren. Die Papyri stammen aus dem Faijum, einer Großoase südwestlich von Kairo, gehörten später zur Privatsammlung des Ägyptologen Heinrich Brugsch und kamen 1891 in die Berliner Papyrussammlung.

Im ersten Brief, der sich auf diesen Papyri erhalten hat, wird der Arzt vom persischen Statthalter Hystanes am Hellespont über das Angebot des Großkönigs Artaxerxes informiert, an dessen Hof in Persepolis zu kommen, um dort als Hofarzt zu arbeiten. Im sich direkt anschließenden Brief lehnt Hippokrates dieses Angebot mit der Begründung ab, Feinde der Griechen nicht zu heilen. Die restliche bekannte Korrespondenz zu diesem Thema wird auf diesem Papyrus nicht wiedergegeben. Stattdessen schließt sich ein Brief des Hippokrates an, der eine Antwort auf ein hier ebenfalls nicht wiedergegebenes Bittgesuch des Rats und des Volkes der griechischen Stadt Abdera in Thrakien enthält. Der Arzt sagt den Abderiten seine Hilfe zu, den vermeintlich am Wahnsinn erkrankten berühmten Philosophen Demokrit zu heilen. Dabei lehnt er in Anspielung auf die Korrespondenz mit den Persern jede Bezahlung ab.

Durch die Kombination dieser beiden Korrespondenzen wird das Thema der Auseinandersetzung zwischen Macht und Weisheit sehr deutlich. Während Hippokrates sich dem mächtigen persischen Großkönig verweigert, sagt er unmittelbar darauf der kleinen griechischen Stadt Abdera für den kranken weisen Mitbürger Demokrit seine Hilfe zu.

Die einzelnen Briefe wurden auf dem Papyrus durch paragraphoi (horizontale Striche am Zeilenanfang) getrennt. Eine solche paragraphos ist über der siebten Zeile noch deutlich sichtbar. Die Grußformel und der Briefanfang sind in ekthesis (hängender Einzug) geschrieben und so ebenfalls markiert worden.

Aufgrund der Wiederverwendung der Papyrusrolle und der Beschriftung des Versos mit diesem Text handelt es sich wohl um eine private Kopie dieser Briefe, die vermutlich unter dem genannten Thema der Auseinandersetzung zwischen Macht und Weisheit zusammengestellt wurden.

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