Weihnachten mit Dornen? Zwei christliche Hymnen

P. 8687

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Mit Sicherheit haben Sie schon einmal von Weihnachten gehört oder vielleicht sogar selbst gefeiert und dabei oftmals Weihnachtslieder gesungen. Aber was hat Weihnachten mit Dornen zu tun? Wie sah das vor 1400 Jahren aus? Gab es dieselben religiösen Traditionen und Inhalte wie jetzt und wie sahen religiöse Hymnen aus? Gibt es Parallelen zu heute und damals? Dies und vieles mehr kann man durch einen Papyrus mit zwei christlichen Hymnen herausfinden, der sich in der Berliner Papyrussammlung befindet.

Von dem ursprünglichen Papyrusblatt haben sich drei Fragmente erhalten, deren Position zueinander aufgrund des Textes gesichert ist. Der Papyrus ist an allen Seiten abgebrochen; es hat sich also keine vollständige Zeile erhalten. Er ist auf beiden Seiten auf Griechisch beschrieben worden, wobei auf der Rückseite (Verso) Reste von 12 Zeilen und auf der Vorderseite (Rekto) Reste von 9 Zeilen zu sehen sind. Der Text auf dem Rekto ist stark abgerieben und daher schlecht lesbar. Aufgrund der Schrift können beide Texte in das 7.–8. Jahrhundert datiert werden.

Auf dem Papyrus sind zwei Texte von unterschiedlichen Schreiber verfasst wurden. Sie beginnen auf dem Verso mit einer Weihnachtshymne, die in eher flüchtiger, nach rechts geneigter und unregelmäßiger Schrift geschrieben wurde. Ab der 11. Zeile derselben Seite beginnt eine Hymne an die Jungfrau Maria (Theotokion), die vermutlich auf der anderen Seite des Papyrus fortgesetzt wird. Sie wurde in einer deutlich anderen Schrift geschrieben, die sehr klein und sorgfältig ist. Auffällig ist, dass am Ende von Zeile 3 des Rektos die letzten Buchstaben nachgeschrieben wurden. Der Schreiber hat offensichtlich mit dem Rest der Tinte in seinem Kalamos (Schreibrohr) diese Buchstaben geschrieben, dann neue Tinte aufgenommen und dieselben Buchstaben noch einmal nachgezogen.

Bei dem ersten Text handelt es sich um eine Weihnachtshymne. Darauf deuten mehrere Punkte hin, die im Kontext der Geburt Jesu zu verorten sind. So wird die Jungfrau, d.i. Maria, genannt (Z. 8). Es wird zu einer Festfeier aufgefordert (Z. 10). Schließlich wird von einer Freude für den ganzen Erdkreis gesprochen (Z. 2) – vermutlich, da der Sohn Gottes nun auf Erden weilt. Es werden Episoden aus dem späteren Leben Jesu Christi erwähnt, z.B. sein vierzigtägiger Rückzug in die Wüste, wo er den Versuchungen des Teufels widerstand, die im Neuen Testament bei Lukas überliefert ist (4,2). Im Text und seinen Formulierungen lassen sich zudem mehrere Parallelen zu anderen biblischen Texten, vor allem zu den Psalmen, finden.

Spannend an diesem Text sind außerdem zahlreiche Markierungen, die sich über verschiedenen Buchstaben und Silben finden lassen. Diese könnten zunächst Akzente oder Lesezeichen sein. Vermutlich handelt es sich aber um eine musikalische Notation. Diese lässt sich auch daran erkennen, dass zahlreiche Konsonanten doppelt und die Wörter damit orthographisch falsch geschrieben wurden. Buchstabenverdoppelungen sind als musikalische Notationen typisch und zeigen den Rhythmus an, in dem der Text gesungen werden sollte. Normalerweise werden allerdings die Vokale verdoppelt, wie z.B. in einem anderen Berliner Papyrus mit christlichen Hymnen (P 16595) aus derselben Zeit. In diesem Text werden allerdings die Konsonanten verdoppelt. Dieses Phänomen ist sehr selten. Die musikalischen Notationen treten vor allem im ersten Text auf. Im zweiten Text begegnen sie seltener.

Die Jungfräulichkeit Marias, welche im Text (Z. 8) thematisiert wird, ist das Hauptthema des zweiten Textes. Hier wird der brennende Dornenbusch aus Buch (Exodus 3, 1–6) erwähnt, der in der frühchristlichen Kunst eine Metapher für die jungfräuliche Geburt Jesu war. Wie der Dornenbusch dem Feuer widerstand, so blieb Maria Jungfrau, obwohl sie Mutter geworden war. Auch in diesem Text gibt es zahlreiche Parallelen zu anderen biblischen Texten. Aufgrund seines fragmentarischen Erhaltungszustandes lässt sich der Inhalt des Textes in seinen Einzelheiten nicht mehr feststellen. Dennoch: Dieser Text ist noch einmal auf einem Papyrus in der Wiener Sammlung überliefert und kann daher mit Hilfe dieser Parallele gedeutet werden.

Beide Texte sind interessante Beispiele für die weite Verbreitung von Hymnen in der frühchristlichen Liturgie und die lange Kontinuität christlich-religiöser Traditionen bis in unsere heutige Zeit. Die musikalische Notation als Hinweise auf die Art und Weise, wie die Hymnen vorgetragen werden sollten, machen diesen Papyrus trotz seiner schlechten Erhaltung zu etwas Besonderem.

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