Weihnachten mit Dornen? Zwei christliche Hymnen

P. 8687

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Mit Sicherheit haben Sie schon einmal von Weihnachten gehört oder vielleicht sogar selbst gefeiert und dabei oftmals Weihnachtslieder gesungen. Aber was hat Weihnachten mit Dornen zu tun? Wie sah das vor 1400 Jahren aus? Gab es dieselben religiösen Traditionen und Inhalte wie jetzt und wie sahen religiöse Hymnen aus? Gibt es Parallelen zu heute und damals? Dies und vieles mehr kann man durch einen Papyrus mit zwei christlichen Hymnen herausfinden, der sich in der Berliner Papyrussammlung befindet.

Von dem ursprünglichen Papyrusblatt haben sich drei Fragmente erhalten, deren Position zueinander aufgrund des Textes gesichert ist. Der Papyrus ist an allen Seiten abgebrochen; es hat sich also keine vollständige Zeile erhalten. Er ist auf beiden Seiten auf Griechisch beschrieben worden, wobei auf der Rückseite (Verso) Reste von 12 Zeilen und auf der Vorderseite (Rekto) Reste von 9 Zeilen zu sehen sind. Der Text auf dem Rekto ist stark abgerieben und daher schlecht lesbar. Aufgrund der Schrift können beide Texte in das 7.–8. Jahrhundert datiert werden.

Auf dem Papyrus sind zwei Texte von unterschiedlichen Schreiber verfasst wurden. Sie beginnen auf dem Verso mit einer Weihnachtshymne, die in eher flüchtiger, nach rechts geneigter und unregelmäßiger Schrift geschrieben wurde. Ab der 11. Zeile derselben Seite beginnt eine Hymne an die Jungfrau Maria (Theotokion), die vermutlich auf der anderen Seite des Papyrus fortgesetzt wird. Sie wurde in einer deutlich anderen Schrift geschrieben, die sehr klein und sorgfältig ist. Auffällig ist, dass am Ende von Zeile 3 des Rektos die letzten Buchstaben nachgeschrieben wurden. Der Schreiber hat offensichtlich mit dem Rest der Tinte in seinem Kalamos (Schreibrohr) diese Buchstaben geschrieben, dann neue Tinte aufgenommen und dieselben Buchstaben noch einmal nachgezogen.

Bei dem ersten Text handelt es sich um eine Weihnachtshymne. Darauf deuten mehrere Punkte hin, die im Kontext der Geburt Jesu zu verorten sind. So wird die Jungfrau, d.i. Maria, genannt (Z. 8). Es wird zu einer Festfeier aufgefordert (Z. 10). Schließlich wird von einer Freude für den ganzen Erdkreis gesprochen (Z. 2) – vermutlich, da der Sohn Gottes nun auf Erden weilt. Es werden Episoden aus dem späteren Leben Jesu Christi erwähnt, z.B. sein vierzigtägiger Rückzug in die Wüste, wo er den Versuchungen des Teufels widerstand, die im Neuen Testament bei Lukas überliefert ist (4,2). Im Text und seinen Formulierungen lassen sich zudem mehrere Parallelen zu anderen biblischen Texten, vor allem zu den Psalmen, finden.

Spannend an diesem Text sind außerdem zahlreiche Markierungen, die sich über verschiedenen Buchstaben und Silben finden lassen. Diese könnten zunächst Akzente oder Lesezeichen sein. Vermutlich handelt es sich aber um eine musikalische Notation. Diese lässt sich auch daran erkennen, dass zahlreiche Konsonanten doppelt und die Wörter damit orthographisch falsch geschrieben wurden. Buchstabenverdoppelungen sind als musikalische Notationen typisch und zeigen den Rhythmus an, in dem der Text gesungen werden sollte. Normalerweise werden allerdings die Vokale verdoppelt, wie z.B. in einem anderen Berliner Papyrus mit christlichen Hymnen (P 16595) aus derselben Zeit. In diesem Text werden allerdings die Konsonanten verdoppelt. Dieses Phänomen ist sehr selten. Die musikalischen Notationen treten vor allem im ersten Text auf. Im zweiten Text begegnen sie seltener.

Die Jungfräulichkeit Marias, welche im Text (Z. 8) thematisiert wird, ist das Hauptthema des zweiten Textes. Hier wird der brennende Dornenbusch aus Buch (Exodus 3, 1–6) erwähnt, der in der frühchristlichen Kunst eine Metapher für die jungfräuliche Geburt Jesu war. Wie der Dornenbusch dem Feuer widerstand, so blieb Maria Jungfrau, obwohl sie Mutter geworden war. Auch in diesem Text gibt es zahlreiche Parallelen zu anderen biblischen Texten. Aufgrund seines fragmentarischen Erhaltungszustandes lässt sich der Inhalt des Textes in seinen Einzelheiten nicht mehr feststellen. Dennoch: Dieser Text ist noch einmal auf einem Papyrus in der Wiener Sammlung überliefert und kann daher mit Hilfe dieser Parallele gedeutet werden.

Beide Texte sind interessante Beispiele für die weite Verbreitung von Hymnen in der frühchristlichen Liturgie und die lange Kontinuität christlich-religiöser Traditionen bis in unsere heutige Zeit. Die musikalische Notation als Hinweise auf die Art und Weise, wie die Hymnen vorgetragen werden sollten, machen diesen Papyrus trotz seiner schlechten Erhaltung zu etwas Besonderem.

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Rätsel einer Multiplikationsübung

SB XXII 15312 (P. 11702)

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Eine seltsame Zeichnung, Multiplikationen und ein Vogel! All das findet sich auf einem Berliner Papyrus und gibt Rätsel auf. Was bedeutet das? In welchem Zusammenhang stehen diese Elemente zueinander? Was hat ein Vogel mit Mathematik zu tun? Wer hat sie aufgeschrieben?

Der Papyrus wurde im mittelägyptischen Eschmunen, dem antiken Hermupolis, erworben und kam im Jahr 1908 in die Berliner Papyrussammlung. Es ist wahrscheinlich, dass er auch aus Hermupolis stammt. Er ist auf beiden Seiten beschrieben. Allerdings sind keine Ränder erhalten, so dass der ursprüngliche Umfang des Textes nicht mehr sicher feststellbar ist. Aufgrund des Textinhaltes lässt sich vermuten, dass sich nur ein kleiner Teil des Papyrus erhalten hat. Erhalten haben sich auf beiden Seiten des Papyrus jeweils zwei Kolumnen in griechischer Sprache und daneben Zeichnungen, deren Zusammenhang mit dem Text zunächst unklar bleibt. Der Text lässt sich aufgrund der Schrift in das 5. Jahrhundert datieren. Zum Ende des Textes wird die Schrift immer eiliger, nachlässiger und unordentlicher. Auch die Abstände nehmen zunehmend ab und wirken unstrukturierter.

Bei dem Text handelt es sich um eine Multiplikationsübung, die uns aus Sicht des Schreibers das Funktionieren des Dezimalsystems zeigt. Dafür bediente sich der Schreiber dieser Übung der sogenannten milesischen Zahlzeichen. Dabei werden für die einzelnen Ziffern nicht eigene Symbole verwendet, wie es heutzutage getan wird, sondern die Buchstaben des griechischen Alphabets und einige wenige Sonderzeichen. Die Zehner und Hunderter erhielten jeweils eigene Buchstaben und Zeichen. So stand α für 1, β für 2 und ξ für 60. Zahlen, die größer als 9, aber keine Zehner oder Hunderter waren, wurden an die der Zahl am nächsten, kleineren Zehner, Hunderter, etc. die entsprechend gewünschten Einer angehängt. Die 63 wurde also ξ für 60 und γ für 3 geschrieben.

Die Multiplikationsaufgabe gliedert sich in mehrere Serien und Abschnitte, die teilweise durch horizontale Striche, sogenannte Paragraphoi, am Zeilenanfang gekennzeichnet sind. Erhalten haben sich Reste der Serien mit dem Faktor 2, 3, 4 und 5. Es ist anzunehmen, dass die ursprüngliche Liste bis zum Faktor 10 reichte. Die Serien unterteilen sich wiederum in einzelne Abschnitte, in denen der erste Faktor mit den Zahlen 1 bis 10 und dem zehnfachen, hundertfachen und tausendfachen Wert dieser Zahl multipliziert wird. Ein Eintrag hat folgendes Schema: δ ϡ Γχ (in unseren Ziffern: 4 900 3600, d.h. 4 x 900 = 3600). Die oben schon erwähnte Eiligkeit des Schreibers wird dadurch bekräftigt, dass der vorletzte erhaltene Eintrag (ε ϡ Δφ [in unseren Ziffern: 5 900 4500, d.h. 5 x 900 = 4500]) erkennbar korrigiert wurde.

Rechts neben der zweiten Kolumne auf dem Verso (Rückseite) befindet sich eine 6 cm hohe und 2,3 cm breite Zeichnung, welche weder ein Bestandteil eines Zierstreifens, noch mathematisch zu erklären ist. Diese bestehen aus zwei parallelen, senkrechten Striche, die zu beiden Seiten durch unregelmäßig gezackte Linien flankiert werden. Der Raum zwischen den Zacken ist mit Punkten sowie halbkreisartigen Tupfern gefüllt. Diese Zeichnung könnte die kartographische Darstellung der ägyptischen Ostwüste sein. Die parallelen Linien würden dann ein Wadi bzw. einen Weg anzeigen, die Zacken flankierende Hügel oder Berge demonstrieren. Die Zeichnung muss nach der Multiplikationsliste angefertigt worden sein, da sie diese teilweise überschreibt und die verwendete Tusche einen anderen Eisengehalt aufweist.

Auf dem Rekto (Vorderseite) ist unten links neben der Multiplikationsübung die Zeichnung eines Vogels zu erkennen, welcher mit erhobenen Flügeln frontal abgebildet ist. Über dem Vogel befindet sich ein kleiner Strich – ein Indiz für eine weitere, vorangegangene Kolumne oder Zeichnung. Die Zeichnung ist unsorgfältig ausgeführt worden und erschwert somit durch die grobe Stilisierung eine zoologische Einordung. Möglicherweise handelt es sich eine Taube oder einen Adler. Gegen eine Deutung als Taube spricht, dass sie in der Antike eher selten frontal und mit ausgebreiteten Schwingen dargestellt wird. Adler hingegen werden häufig so gezeigt und symbolisieren etwas Göttliches, wie z.B. die Wiederauferstehung Jesu Christi. Ob sich der Zeichnende dieser Motivtradition bewusst war, lässt sich nur vermuten, aber er müsste ihrer Bedeutung eigentlich bekannt sein. Der Stern über dem Kopf des Vogels könnte laut dieser Theorie auch ein Christogramm sein. Die Zeichnung des Vogels und die Multiplikationsliste sind vermutlich zeitgleich oder zeitnah angefertigt worden, da es keine messbaren Unterschiede zwischen den verwendeten Tuschen gibt.

Der Zusammenhang zwischen den beiden Zeichnungen und der Multiplikationsübung bleibt also unklar. Mathematische und kartographische Fähigkeiten waren in der Antike in der Verwaltung und beim Militär gefragt. Somit könnte dieser Papyrus eine Erinnerungsnotiz oder sogar ein Schmierblatt eines Auszubildenden in diesen Bereichen gewesen sein. Letztlich bleiben diese Mutmaßungen aber unsicher und dieser Papyrus auch weiterhin ein Rätsel.

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Babylonische Planetenberechnung im griechisch-römischen Ägypten

P. 16511 V

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Wer heute die genaue Position von Sternen oder Planeten am Himmel bestimmen will, öffnet seinen Computer und findet mit ein paar Klicks in moderner Software alles, was er sucht. In der Antike war das ein wenig schwieriger. Astronomische Daten wurden zunächst genutzt um das Schicksal von Königen und Reichen zu bestimmen, später auch für die Erstellung von Horoskopen für Einzelpersonen. Auch in die Berliner Papyrussammlung sind mehrere Horoskope erhalten (siehe z.B. das älteste erhaltene, griechische Horoskop auf Papyrus).

Der Philosoph Sextus Empiricus (2. Jh. n. Chr.) hat in seinem Werk Πρὸς ἀστρολόγους „Gegen die Astrologen“ (26-28) beschrieben, wie die Babylonier die Beobachtung der Planetenpositionen bei der Geburt eines Kindes durchführten. Ein Astronom saß auf einer Bergkuppe, während ein Assistent neben der Frau in den Wehen saß. Wenn die Entbindung stattfand, läutete der Assistent einen Gong und der Astronom notierte sofort alle relevanten Beobachtungsdaten. Dies ist eine recht fantasievolle Geschichte, welche jedoch nicht der Realität entspricht. Beobachtungen waren oft nicht möglich: nicht alle Planeten sind immer sichtbar. Deswegen verwendete man Algorithmen, um astronomische Tabellen zu erstellen. Die Positionen in den Horoskopen wurden dann anhand der Tabellen berechnet.

Auf dem hier vorgestellten Objekt, einem Papyrus aus Oxyrhynchus im griechisch-römischen Ägypten, findet sich ein Teil einer solchen Tabelle. Das Fragment besteht aus fünf Spalten mit schwarzen Linien und ist in einer kleinen, schnellen, kursiven dokumentarischen Schrift aus dem 1. Jh. n. Chr. geschrieben. Die Tabelle ist an der linken, unteren und rechten Seite abgebrochen; der obere Teil ist jedoch vollständig. Ein zweites Fragment der gleichen Tabelle, das aus Teilen der Spalten 3, 4 und 5 besteht, befindet sich in Oxford. Auf der anderen Seite, der Vorderseite des Papyrus, befindet sich ein Gerichtsverfahren. Nachdem dieses nicht mehr relevant war, wurde auf der Rückseite diese astronomische Tabelle geschrieben, bis auch sie nicht mehr notwendig war und weggeworfen wurde. Wie alle Papyri aus Oxyrhynchus, stammt der Papyrus von einer Mülldeponie.

Die dritte Spalte besteht aus Jahreszahlen, die durch das griechische L-förmige ἔτος („Jahr“)-Zeichen zusammen mit einer Zahl dargestellt werden. Die Jahreszahlen erhöhen sich in der Regel um 1, manchmal aber auch um 2. So finden wir in den ersten vier Zeilen die Jahre ιϛ, ιη, ιθ, κ: 16, 18, 19, 20. Dies sind Regierungsjahre römischer Kaiser, und in Zeile 7 wird auch klar, welcher Kaiser. Hier steht in Spalte 3 keine Jahreszahl, sondern nur Γαίου, und in Spalte 2 noch zur Verdeutlichung κγ το κ(αὶ) α, was zusammen „23, auch 1 von Gaius“ bedeutet. Es geht hier um das Jahr 23 des Kaisers Tiberius, 37 n. Chr., was auch das Jahr 1 des Kaisers Gaius (Caligula) ist. Der Rest der zweiten Spalte besteht nur aus horizontalen Strichen und soll offenbar die Spalte 1 von den anderen Spalten trennen.

Spalte 4 enthält ägyptische Monatsnamen in griechischer Schrift, mit vollständigen Schreibungen für kurze Namen wie Θωύθ „Thouth“ (Zeile 2), Ἁθύρ „Hathyr“ (Zeile 4) und Τῦβι „Tybi“ (Zeile 5); sowie abgekürzten für längere Namen wie Φαῶφ „Phaoph“ für Φαῶφι „Phaophi“ (Zeile 3), und Φαρμο „Pharmo“ für Φαρμοῦθι „Pharmouthi“ (Zeile 8). Das ο von Φαρμο ist dabei hochgestellt, um zu betonen, dass es sich um eine Abkürzung handelt.

In Spalte 5 steht immer erst eine Zahl zwischen 0 und 29, dann noch eine oder oft auch mehrere Zahlen. Diese geben die Tage des Monats an, mit anschließenden Brüchen dieser Tage im babylonischen Sexagesimalsystem. Dies ist eindeutig die Folge einer Berechnung und zeigt bereits, dass wir es nicht mit einer rein ägyptischen Tabelle zu tun haben. Ungewöhnlich ist auch die Verwendung des Tages 0, anstelle des Tages 30 des Vormonats, in den Zeilen 5 und 6.

Zusammengefasst enthält jede Zeile einen Zeitpunkt, mit Zeitsprüngen von jeweils circa 13 Monaten. Diese Zeitspanne ist charakteristisch für den Planeten Jupiter, und die Analyse anhand moderner Daten zeigt, dass es sich um Zeitpunkte handelt, in denen sich Jupiter an der so genannten ersten Station befindet: dem Ort, an dem die Bewegung des Planeten rückläufig wird. Der Buchstabe α über der Tabelle könnte für die Zahl 1 stehen und sich somit darauf beziehen, diese Interpretation ist jedoch unsicher. Interessanterweise war für astronomische Berechnungen noch lange Zeit der unreformierte ägyptische Kalender in Gebrauch, d. h. ohne Schalttage, da es einfacher war mit diesem Kalender zu rechnen. Im täglichen Leben war der reformierte ägyptische Kalender bereits seit anderthalb Jahrhunderten in Gebrauch, als dieser Papyrus verfasst wurde.

Die meiste Tabellen dieser Art enthielten neben den Zeitpunkten auch die entsprechenden Positionen der Planeten, ausgedrückt im zodiakalen Koordinatensystem. Diese waren vermutlich in Spalte 6 und den folgenden enthalten. Was stand aber in der ersten Spalte? Es sind deutlich Zahlen, aber da der Anfang abgebrochen ist und es sich hauptsächlich um Bruchzahlen handelt, ist es schwierig, daraus eine Schlussfolgerung zu ziehen. Es könnte sich um Himmelspositionen eines anderen Jupiterphänomens handeln, oder vielleicht um Positionen desselben Phänomens, aber vor dem Jahr 16 des Tiberius. Dass die Tabelle willkürlich mit dem Jahr 16 beginnt, ohne den Namen Tiberius zu erwähnen, spricht für die Hypothese, dass vielleicht etwas anderes vorausging.

Es war erstaunlich, mit babylonischen Methoden erstellte Tabellen in Ägypten zu finden. Die Übertragung der babylonischen Algorithmen auf Ägypten ist nicht trivial: Die komplizierten babylonischen Algorithmen mussten an den ägyptischen Kalender angepasst werden, und für die Himmelspositionen mussten aufgrund der veränderten geographischen Lage lokale Beobachtungen herangezogen werden. Dies zeigt, dass es in Ägypten fortgeschrittene Kenntnisse von babylonischen Algorithmen gab. Die Tabelle ist außerdem erstaunlich genau: das Datum weicht nie mehr als 2 Tage vom Phänomen ab, während man Jupiter bei Beobachtung bis ungefähr 10 Tage vor oder nach dem berechneten Zeitpunkt sehen kann.

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18002

P. 12614 Text 2

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18001

P. 12614 Text 1

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18000

P. 3211 R

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Medizin und Philosophie vereint?

BKT IX 42 (P. 21141)

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Vernunft im Kopf, Tapferkeit im Herzen, Begierde in der Leber – der berühmte antike Arzt Galen versucht, eine Brücke zwischen hippokratischer Medizin und platonischer Philosophie zu schlagen. In der Berliner Papyrussammlung hat sich ein kleines Fragment aus diesem großen Werk erhalten.

Dieses kleine Papyrusfragment mit Resten von vier Zeilen auf der Vorderseite und fünf Zeilen auf der Rückseite gehört zum unteren Rand eines Kodexblattes von dem sich weitere Fragmente in der Bayerischen Staatsbibliothek in München erhalten haben. Das Berliner Fragment lässt sich direkt an das Münchener Fragment anpassen. Aufgrund des recht unterschiedlichen Erhaltungszustands der beiden Fragmente kann man annehmen, dass sie schon in der Antike getrennt wurden. Ursprünglich hatte es auf beiden Seiten einen Schriftspiegel, dessen Höhe doppelt so groß wie die Breite war.

Das Kodexblatt enthält eine Abschrift von Galens Schrift „Über die Lehrmeinungen des Hippokrates und des Platon“ (Kapitel 88, 29–31 und 90, 20–22 auf dem Berliner Fragment). Der aus dem kleinasiatischen Pergamon stammende Arzt Galen verfasste dieses Werk in neun Bücher zwischen 162 und 176 n. Chr. in Rom. Aufgrund seiner eigenen Bemerkungen zu diesem Werk in anderen Schriften wissen wir, dass Galen die ersten sechs Bücher zwischen 162 und 166 n. Chr. in Rom im Auftrag des ehemaligen Konsuls und späteren Statthalters der römischen Provinz Syria Palaestina Titus Flavius Boethus, der großes Interesse an seinen medizinischen Forschungen hatte. Galen begleitete ihn in seine Provinz. Nach seiner Rückkehr im Jahre 169 n. Chr. verfasste er die letzten drei Bücher dieses Werkes.

Interessant ist nun, das die Abschrift auf den Papyrusfragmenten in Berlin und München, die im mittelägyptischen Eschmunen, dem antiken Hermupolis, gefunden wurde, aufgrund der Schrift in die erste Hälfte des 3. Jh. n. Chr. datiert werden kann. Damit ist sie eine der ältesten Zeugnisse eines Werkes von Galen und liefert somit wertvolle Hinweise auf die ursprüngliche Gestalt des Textes.

Als Anhänger der Lehren des großen und berühmten griechischen Arztes Hippokrates von Kos setzt sich Galen in diesem Werk mit dessen Lehren auseinander und vergleicht sie mit den Vorstellungen über die Beschaffenheit der Seele des griechischen Philosophen Platon. Dabei geht es Galen gar nicht darum Philosophie und Medizin gegeneinander auszuspielen und die Richtigkeit der einen Fachrichtung zu beweisen. Vielmehr zeigt er, dass er den Aussagen des Philosophen und des Arztes in allen Punkten zustimmt. Sein Ziel ist der Nachweis, dass die Aussagen des Arztes Hippokrates und des Philosophen Platon übereinstimmen können. Er versucht, die recht abstrakten Meinungen Platons ganz konkret in die menschliche Physiologie einzupassen, die bei ihm auf den Vorstellungen des Hippokrates aufbaut.

So wundert es dann auch nicht, dass wir in den wenigen Resten, die sich auf den Papyrusfragmenten erhalten haben, Galens Beschreibung der Arterien in den unteren Bereichen des Körpers und der Beine lesen können, auch wenn die Verbindung zu den metaphysischen Vorstellungen Platons unklar bleiben muss, weil sich diese Textpassage nicht mehr erhalten hat.

Galen behauptet in seinen anderen Schriften, dass seine Werke zu seinen Lebzeiten bereits in vielen Provinzen des römischen Reiches gelesen wurden. Das mag eine Übertreibung und Bestätigung seines eigenen Stolzes sein. Die Fragmente in Berlin und München stammen allerdings aus dem römischen Hermupolis in Mittelägypten und aus einer Zeit kurz nach dem Tod des Arztes. Sie mögen somit vielleicht die Aussagen Galens nicht unbedingt bestätigen. Sie zeige allerdings, dass seine Werke durchaus nicht nur in den großen kulturellen Zentren der römischen Welt wie Rom, Alexandria etc. rezipiert wurden, sondern viel weiter auch im Hinterland Verbreitung fanden.

Dieser Papyrus mit einem Ausschnitt aus Galens Werk war in der Ausstellung „Au temps de Galien. Un médicin grec dans l’empire romain“ im Musée royal de Mariemont in Morlanwelz in Belgien zu sehen.

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Alles, was man über die Ehe wissen muss

BKT V.2, S. 123–128, Nr. XX A (P. 9772)

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Wie kann man sich ein Bild davon machen, was die Griechen über die Ehe dachten? Man schaut am besten in die Anthologien! Eine Anthologie ist eine Sammlung ausgewählter Passagen literarischer Werke von einem oder mehreren Autoren. Griechische Papyri haben uns mehrere solcher Sammlungen geliefert, die oft sonst unbekannte Literatur ans Licht bringen. Dazu gehört auch der hier vorgestellte Papyrus.

Dieser Papyrus, von dem zwei Fragmente erhalten sind, wurde 1901 von Otto Rubensohn auf dem ägyptischen Antiquitätenmarkt für die Berliner Papyrussammlung erworben, aber wir wissen nicht, wo genau er gefunden wurde. Paläographisch lässt er sich auf das 2. Jahrhundert v.Chr. datieren.

Der Papyrus ist unter materiellen Gesichtspunkten sehr interessant. Die Rektoseite ist ein Palimpsest: Das bedeutet, dass darauf zunächst ein Text geschrieben wurde, der später weggewaschen wurde, um einen neuen Text zu schreiben. Dies ist ein nicht sehr häufiges Phänomen bei Papyri, die in der Regel auf andere Weise wiederverwendet werden, z. B. durch Beschriftung der leer gelassenen Seite. In unserem Fall wurde der vorherige Text sehr grob abgewaschen, so dass er noch deutlich sichtbar, aber nicht mehr vollständig lesbar ist. Von dem neuen Text, d.h. der Anthologie, sind auf dem ersten Fragment Reste von zwei Spalten und auf dem zweiten Fragment vier Spalten, von denen drei intakt sind, erhalten. Auf der Rückseite des zweiten Fragments ist noch eine weitere Spalte zu lesen, was auch ein Beispiel dafür ist, wie Papyrusrollen in der Antike verstärkt oder repariert wurden: Einige Streifen eines anderen Papyrus wurden tatsächlich zu diesem Zweck daran befestigt.

Inhaltlich enthält die Anthologie Passagen aus griechischen Komödien und Tragödien, die jeweils mit dem Namen ihrer Autoren eingeleitet werden (Epicharmos, Menander, Euripides usw.). Die ausgewählten Texte, die größtenteils nur dank dieses Papyrus bekannt sind, widmen sich dem Tadel und dem Lob der Frauen und sind gnomischer Art, d. h. sie enthalten moralische Vorschriften (wie z. B. dass man einer Frau nichts sagen soll, was man geheim halten will, denn das wäre so, als würde man es allen Herolden in der Versammlung sagen, oder andererseits, dass es nichts Besseres gibt als eine gute Frau). Das allgemeine Thema, auf das sie sich beziehen, ist die Ehe, das in der griechischen gnomischen Literatur am stärksten vertreten ist.

Sowohl der materielle Aspekt des Papyrus als auch die Schrift, eine Kursivschrift, die der in zeitgenössischen Dokumenten verwendeten sehr ähnlich ist, lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass es sich um ein für den Buchhandel bestimmtes Produkt handelt. Der genaue Zweck des Sammelbandes bleibt jedoch unklar: Die Passagen könnten in Hinblick auf die Ausarbeitung einer Übung zum Thema „ob man heiraten sollte“ gesammelt worden sein, wie es in Rhetorikschulen üblich war, oder einfach für den persönlichen Gebrauch, für die private Lektüre oder zur Rezitation im Kontext eines Symposions.

Auf jeden Fall bietet der Papyrus nicht nur ein gutes Beispiel dafür, wie das Thema Ehe in hellenistischer Zeit diskutiert wurde, sondern vor allem hat er einen unschätzbaren Beitrag zu unserem Wissen über die griechische Literatur geleistet, da er einige Texte enthält, die vor seiner Veröffentlichung unbekannt waren.

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16698

P. 9769 V

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Vorgeschichte eines Weltwunders

FGrHist 533 F 2 (P. 11632)

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Wer kann schon alle sieben Weltwunder aufzählen, geschweige denn sagen, wann und warum sie errichtet wurden? Bei dem Koloss von Rhodos kann uns ein Papyrus helfen, seine Entstehung zu verstehen.

Der Papyrus wurde im Dorf Mellawi gefunden. Mellawi liegt in Oberägypten, im antiken Verwaltungsbezirk Hermopolites. 1912 wurde das Stück durch Wilhelm Schubart, der damals Leiter der Papyrussammlung war, in Mittelägypten gemeinsam mit anderen Stücken angekauft. Der Papyrus enthält einen literarischen Text in griechischer Sprache, der in das 2. Jh. n.Chr. datiert wird. Im 2. Jh. n. Chr. war Ägypten unter römischer Herrschaft.

Der Text besteht aus 2 Kolumnen mit je 24 Zeilen. Er ist eine historische Prosa und im ionischen Dialekt geschrieben. Dies könnte daran liegen, dass dieser Dialekt für historische Schriften üblich war. Diese Gattungskonvention kommt daher, dass der erste griechische Historiker, Herodot, auf ionisch schrieb. Im Text geht es um eine Episode der Diadochenkriege. Nach dem Tod Alexanders des Große 323 v. Chr. stritten sich seine Anhänger, die Diadochen, um die Vorherrschaft. In den Konflikt wurde auch Rhodos hineingezogen, worüber in unserem Stück berichtet wird.

Die Insel Rhodos mit der gleichnamigen Stadt liegt vor der Küste Kleinasiens. Es gehörte ursprünglich zum persischen Großreich, geriet dann aber unter den Einfluss Alexanders. Nach Alexanders Tod versuchte die Insel unabhängig und neutral zu bleiben. Dies ging eine Zeitlang gut, dann unterwarf der Diadoche Antigonos aber ganz Kleinasien. Durch die räumliche Nähe war Rhodos gezwungen, ihm zu helfen. Antigonos forderte mehrmals von Rhodos Unterstützung. Als diese sich weigerten und auch eine Flotte des Antigonos zurückschlugen, schickte er seinen Sohn Demetrios Poliorketes 305 v. Chr. für eine Strafexpedition nach Rhodos. Der Name Poliorketes bedeutet sehr passend Städtebelagerer.

In der ersten Phase der Belagerung schlug er sein Lager vor den Stadtmauern auf und riegelte die Stadt von der Außenwelt ab. Demetrios versuchte dann, die Mauer zu durchbrechen. 304 v. Chr. konnte er den ersten Mauerring erobern. Die Rhodier hatten allerdings einen zweiten Ring, hinter den sie sich zurückziehen konnten. Als Demetrios dann die zweite Mauer durchbrach, hatten die Rhodier schon eine dritte gebaut.

Aber auch diese konnte Demetrios an einer Stelle durchbrechen. Bevor er die Stadt komplett erobert, brach er die Belagerung ab, weil er von Griechen zu Hilfe gegen Kassander gerufen wurde. Es wurde ein Friedensvertrag geschlossen. Die Rhodier dankten ihrem Schutzpatron, dem Sonnengott Helios, indem Sie am Hafen eine Kolossalstatue errichteten. Heute ist sie als Koloss von Rhodos als eines der sieben Weltwunder bekannt. Eines der sieben Weltwunder hat also eine Belagerung als Vorgeschichte.

Die Informationen über die Belagerung von Rhodos haben wir vor allem von Diodor, der im 1. Jh. v. Chr. ein Geschichtswerk schrieb. Aber auch unser Stück stellt eine Quelle dar. Weil unser Autor und Diodor so ähnliches schreiben, ist die Frage nun, ob unser Autor von Diodor abgeschrieben hat, oder beiden gemeinsame Quellen zugrunde liegen. Weil sie sich aber im Hinblick auf Terminologie unterscheiden, ist letzteres wahrscheinlicher.

Unser Stück behandelt nur Teile der Belagerung von Rhodos. Am Anfang geht vielleicht darum, dass die Rhodier ein Gewand erbeutet haben, was die Frau des Demetrios ihm schicken wollte. Es werden nämlich königliche Dinge erwähnt. Dann geht es darum, dass die Rhodier Gefangene nicht herausgeben wollen, obwohl Demetrios ihnen Lösegeld bietet. Daraufhin kündigt er an, zukünftig auch keine Rhodier mehr freizulassen. Als nächstes wird beschreiben, wie Demetrios versucht, die erste Mauer zu untergraben. Er besticht Athenagoras von Milet, der auf Seiten der Rhodier war, ihm zu helfen. Der verrät den Plan an die Rhodier. Die Rhodier fangen also an, den Feinden entgegenzugraben und Demetrios Plan misslingt. Außerdem übergibt Athenagoras den Rhodiern einen Gefolgsmann von Demetrios, Alexander. Athenagoras wird belohnt und Alexander im letzten Moment durch Lösegeld vor der Hinrichtung gerettet.

Das Besondere am Text ist, dass es sich um einen Autographen handelt, also um die Handschrift des Autors selbst. Dies erkennt man daran, dass der Text ein Entwurf ist. Immer wieder sind Wörter durchgestrichen, teils wegen grammatikalischer Fehler, teils, weil der Autor anderer Worte wählen wollte. Wir können also dem Autor sozusagen beim Arbeiten zuschauen. Autographen haben wir nur sehr selten erhalten. Eine weitere Besonderheit ist das Word μεταλλωρύχος. Es ist ein sog. Hapax legomenon. Das heißt, dass das Wort nur an einer einzigen Stelle belegt ist.

Der erste Herausgeber des Textes, von Gaertringen, schließt seinen Aufsatz mit: „Möchte nur der ägyptische Boden noch mehr solche Funde liefern!“.

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